Nacht ohne Ende
kleinen Revolver in der Hand. Tiel erkannte in dem Revolver Agent Cains Waffe wieder, diejenige, die sie unter die Tiefkühltruhe getreten und danach völlig vergessen hatte. Zum Glück hatte Doc sich daran erinnert.
Er nutzte den Augenblick der Stille aus. »Gladys, kommen Sie hier rüber.«
Die alte Dame hastete um den Frito-Lay-Aufsteller herum. »Haben Sie ihn getötet?«
»Nein.«
»Was für ein Jammer.«
»Nehmen Sie das Baby, damit Tiel Sabra helfen kann. Ich werde mich um den da kümmern«, sagte er mit einer Kopfbewegung in Juans Richtung. »Ronnie, entspannen Sie sich wieder. Alles ist unter Kontrolle. Kein Grund zur Panik.«
»Ist mit dem Baby alles okay?«
»Der Kleinen geht's gut.« Gladys trug das schreiende Baby zu Ronnie, damit er sich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, dass Katherine nichts passiert war. »Sie ist nur fuchsteufelswütend, und ich muss sagen, ich kann's ihr nicht verübeln.« Sie schnaubte verächtlich, während sie einen finsteren Blick auf Juan warf, der jetzt auf dem Fußboden hockte und seinen blutenden Schenkel umklammert hielt.
Einige energische Stöße mit Ronnies Pistolenlauf ließen Nummer Zwei wieder zu seinem ursprünglichen Platz zurückschleichen. Sein Ausdruck war jetzt noch hinterhältiger und erregter als zuvor.
Doc legte Cains Revolver hoch oben auf einem Regal mit Waren ab, weit außerhalb von Juans Reichweite, und kniete sich dann auf den Boden, um das Hosenbein des Mexikaners mit der Schere aufzuschneiden. »Sie werden's überleben«, erklärte er lakonisch, nachdem er den Schaden inspiziert und ein paar Gazetupfer in die Schusswunde gesteckt hatte. »Sie können von Glück reden, dass die Kugel die Oberschenkelarterie verfehlt hat.«
Juans Augen loderten vor Zorn.
»Doc?« Tiel hatte Sabra überredet, sich wieder hinzulegen, aber der Boden um sie herum war schlüpfrig vor frischem Blut, und das Mädchen war gespenstisch bleich.
»Ich weiß«, erwiderte Doc nüchtern, als er auf Tiels unausgesprochene Besorgnis reagierte. »Ich bin sicher, durch das Aufstehen ist der Dammriss wieder aufgeplatzt. Machen Sie es ihr so bequem wie möglich. Ich komme gleich.«
In aller Eile verband er Juans Schussverletzung und legte ihm mit einem der Souvenir-T-Shirts eine Aderpresse an. Juan schwitzte aus allen Poren, offensichtlich von unerträglichen Schmerzen gepeinigt, und seine geraden weißen Zähne waren fest zusammengebissen. Es sprach jedoch für ihn, dass er nicht laut aufschrie, als Doc ihn ziemlich unsanft und ohne viel Federlesens auf die Füße zerrte und ihn dann stützte, während er auf einem Fuß hüpfte.
Als sie an Cain vorbeikamen, schrie der Agent den verletzten Mexikaner an: »Sie gottverfluchter Idiot, Sie! Wir hätten alle dabei draufgehen können. Was zum Teufel haben Sie sich eigentlich -«
Schneller als eine angreifende Klapperschlange holte Juan mit seinem unverletzten Bein aus und versetzte Cain einen brutalen Tritt gegen den Kopf. Die plötzliche Bewegung kam ihn teuer zu stehen. Er grunzte vor Schmerz. Trotzdem war sein Stiefelabsatz mit voller Wucht auf Knochen gelandet, und das Knacken war fast so laut wie der Pis-tolenschuss. Cain verstummte abrupt und versank in Bewusstlosigkeit. Sein Kinn fiel schlaff auf seine Brust.
Doc stieß Juan auf den Boden und lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Kühlvitrine, ein gutes Stück von seinem Kumpan entfernt. »Er wird vorläufig nirgendwo hingehen. Aber Sie sollten ihn trotzdem besser an Händen und Füßen fesseln, Ronnie, nur zur Sicherheit. Und den da auch«, fügte er hinzu und wies mit einer Kopfbewegung auf Nummer Zwei.
Ronnie wies Vern an, den beiden Männern Hände und Füße mit Isolierband zu fesseln, genauso wie er es auch bei Cain getan hatte. Er zielte mit seiner Waffe auf die beiden
Mexikaner, während sich der alte Mann an die Arbeit machte. Juan war zu intensiv mit seinem verletzten Bein beschäftigt, um Energie auf Beschimpfungen zu verschwenden, aber Nummer Zwei tat sich in dieser Hinsicht keinen Zwang an. Er erging sich in einer gebrüllten Litanei von spanischen Ausdrücken, die vermutlich Obszönitäten waren, bis Ronnie ihm drohte, ihn zu knebeln, wenn er nicht sofort den Mund hielt.
Das Schrillen des Telefons war bisher unbeantwortet geblieben und mehr oder weniger ignoriert worden. Tiel, die sich mit einer Eilfertigkeit, die sie selbst erstaunte, ein Paar Handschuhe übergestreift hatte, arbeitete gerade fieberhaft, um die blutdurchtränkten Windeln unter
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