Nacht ohne Ende
mit einem Ruck aus ihrem Griff. »Tut mir Leid, aber das ist mir zu hoch.«
»Es könnte dich zwingen, endlich einzusehen, dass es falsch von dir war, das Handtuch zu werfen und davonzulaufen. Letzte... letzte Nacht«, sagte sie und stotterte in ihrer Hast, ihr Argument anzubringen, bevor er aus dem Zimmer stürmte. »Letzte Nacht hast du zu Ronnie gesagt, dass er nicht vor seinen Problemen davonlaufen könnte. Dass Flucht keine Lösung wäre. Aber ist das nicht genau das, was du getan hast?
Du bist hier in diese Einöde gezogen und hast den Kopf in den Sand von West Texas gesteckt, weil du dich geweigert hast, das zu akzeptieren, was die Wahrheit ist, wie du sehr wohl weißt. Nämlich dass du ein begabter Heiler bist. Dass du mit deiner Begabung und deinem Wissen etwas bewirken könntest. Dass du bereits eine ganze Menge bewirkt hast. Du hast damals all den Patienten und ihren Familien, die sich auf ein Todesurteil gefasst machen mussten, eine Gnadenfrist gewährt. Gott allein weiß, was du in Zukunft noch alles für Krebskranke tun könntest.
Aber aus gekränktem Stolz und aus Wut und aus Enttäuschung über deine Kollegen hast du einfach aufgegeben und bist davongelaufen. Du hast das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wenn du durch diese Story wieder ins Licht der Öffentlichkeit gezogen wirst, wenn noch eine Chance besteht, dass dich das dazu motivieren wird, wieder als Krebsspezialist zu praktizieren, dann soll mich der Teufel holen, wenn ich mich dafür entschuldige!«
Er kehrte ihr schweigend den Rücken zu und öffnete die Tür.
»Doc?«, rief sie verzweifelt.
Aber alles, was er sagte, war: »Der Sheriff ist da, um dich abzuholen.«
17
Tiels kleiner abgeteilter Raum innerhalb des Nachrichtenstudios war das reinste Katastrophengebiet. In dem winzigen Büro herrschte eigentlich immer eine ziemliche Unordnung, aber jetzt war das Chaos noch größer als gewöhnlich. Tiel hatte Hunderte von Faxen, Postkarten und Briefen von Kollegen und Fernsehzuschauern bekommen, die ihr zu ihrer ausgezeichneten Berichterstattung über die Davison-Dendy-Story gratulierten und sie wegen der heldenmütigen Rolle lobten, die sie in dem Drama gespielt hatte. Und viele der Briefe mussten erst noch geöffnet werden. Sie hatten sich zu wackligen, schiefen Stapeln aufgetürmt.
Es gab gar nicht genug Flächen, um die Vielzahl von Blumenarrangements unterzubringen, die im Laufe der vergangenen Woche geschickt worden waren, deshalb hatte sie sie überall im ganzen Gebäude auf die Büros und Konferenzräume verteilt.
Vern und Gladys hatten ihr über ein Versandgeschäft einen Käsekuchen geschickt, der für eine ganze Armee gereicht hätte. Die Belegschaft des Nachrichtenstudios hatte sich gründlich den Bauch damit voll geschlagen, und trotzdem war immer noch mehr als die Hälfte von dem Kuchen übrig.
Wie erwartet, hatte Tiel im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden, und das nicht nur auf lokaler Ebene. Sie war sogar von Reportern von weltweit operierenden Nachrichtensendern interviewt worden, einschließlich CNN und Bloomberg. Aufgrund des ergreifenden menschlichen Elements, der Liebesgeschichte, der Notgeburt des Babys und des dramatischen Ausgangs hatte die Story das Interesse von Fernsehzuschauern rund um den Globus geweckt.
Sie war von einer ortsansässigen Autohändlervereinigung gebeten worden, Werbespots für sie zu machen, ein Angebot, das Tiel jedoch abgelehnt hatte. Auflagenstarke Frauenzeitschriften hatten ebenfalls großes Interesse bekundet und beabsichtigten, spezielle Text-und Bildbeiträge über alles zu bringen, was Tiel McCoy betraf - von ihren Erfolgsgeheimnissen bis hin zur Einrichtung ihres Hauses. Sie war praktisch die »Frau der Woche«.
Und trotz ihres großen Erfolgs war sie nie unglücklicher gewesen.
Tiel unternahm gerade einen vergeblichen Versuch, Ordnung auf ihrem Schreibtisch zu schaffen, als Gully hereinkam. »Hi, Kid.«
»Ich habe den Rest des Käsekuchens in die Cafeteria gebracht, damit sich jeder nach Belieben davon bedienen kann, frei nach dem Motto >Wer zuerst kommt, mahlt zuerst^«
»Ich habe das letzte Stück abbekommen.«
»Deine Arterien werden mir das niemals verzeihen«, erwiderte sie.
»Habe ich dir eigentlich schon gesagt, was für großartige Arbeit du geleistet hast?«
»So was hört man immer gern.«
»Wirklich großartige Arbeit«, meinte Gully.
»Danke. Aber sie hat mich total ausgelaugt. Ich bin schrecklich müde.«
»Das sieht man dir an. Tatsächlich siehst
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