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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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noch einmal. Ich behielt immer noch die vorgeschriebene Haltung bei, feuerte diesmal aber rascher.
      Wieder pro Karte ein Treffer! Ich stellte neue Karten auf und
      wollte gerade noch einmal zurückgehen, doch als ich mich
    umdrehte, entdeckte ich Burke am unteren Ende des Pfades. Er stand da und beobachtete mich, verborgen hinter seiner dunklen Sonnenbrille. Ich kehrte an die alte Stelle zurück, zog und schoß fünfmal so dicht hintereinander, daß das Echo wie ein einziger Donner klang. Während ich nachlud, ging er hinüber und holte die Karten.
      Vier Treffer – drei dicht beisammen, einer in der Mitte hoch; fast wäre er danebengegangen.
      »Es wird schon wieder, Stacey«, sagte er. »Du brauchst nur ein bißchen Zeit.«
      Er streckte mir die Hand entgegen. Ich gab ihm den Smith & Wesson. Er balancierte ihn einen Augenblick in der Hand, dann fuhr er herum und schoß aus seiner eigentümlichen Haltung: das rechte Bein weit vorgestreckt, das linke Knie fast auf dem Boden, die Waffe gerade vor der Brust.
      Er erzielte fünf Treffer, drei dicht beieinander, die anderen zwei in der Nähe der rechten Kante. Ich zeigte ihm wortlos die Karte. Er nickte ernst, es war ihm keine Befriedigung anzumerken.
      »Nicht übel, gar nicht übel. Sie schlägt nur ein bißchen nach rechts. Vielleicht könnte man den Abzug empfindlicher einstellen.«
      »Schön, du hast mich überzeugt.« Ich begann nachzuladen. »Warum hast du nicht deine Leibwache mitgebracht?«
      »Pete und Legrande?« Er schüttelte den Kopf. »Das geht nur dich und mich etwas an, Stacey, keinen sonst.«
      »Also Sonderbeziehungen, wie man so schön sagt? Wie zwischen Amerika und England?«
      Er kochte zwar nicht gleich über, aber ich spürte die Wut, die bis dicht an die Oberfläche wallte.
      »Nun gut, ich habe dich ein bißchen später herausgeholt als beabsichtigt, aber hast du eine Ahnung, was an Organisation nötig war? Was es gekostet hat?«
      Er stand da und wartete, vielleicht auf irgendeine Geste von
    mir.
      Aber als sie nicht kam, wandte er sich abrupt ab und ging zum Strand hinunter. Er hob einen Stein auf, warf ihn lustlos ins Wasser und ließ sich dann auf einen Felsbrocken sinken. Wie er so dahockte und in die Ferne starrte, wirkte er seltsam niedergeschlagen. Zum erstenmal, seit ich ihn kannte, merkte man ihm sein Alter an.
      Ich schob den Smith & Wesson ins Halfter und setzte mich neben ihn. Wortlos bot ich ihm eine Zigarette an, aber er lehnte mit einer seiner eigentümlichen Gesten ab, als wollte er etwas von sich wischen.
      »Was ist geschehen, Sean?« fragte ich. »Du hast dich verändert.«
      Er rückte an seiner Sonnenbrille, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und lächelte ein wenig, während er weiter aufs Meer hinausblickte. »Als ich in deinem Alter war, Stacey, da kam mir die Zukunft unendlich vielversprechend vor. Jetzt bin ich achtundvierzig, und vieles liegt schon hinter mir.«
      Das klang wie eine Bemerkung, die er sich zuvor sorgfältig ausgedacht hatte, typisch für die Iren, und nicht erst seit Oscar Wilde.
      »Ich verstehe«, sagte ich. »Heute ist also der Morgen für Sack und Asche.«
      Er redete weiter, als hätte ich kein Wort gesagt. »Ich glaube, das liegt einfach daran, daß das Leben uns alle früher oder später einmal einholt. Eines Morgens wacht man auf, und zum erstenmal möchte man plötzlich wissen, was das alles soll. Wenn man wie ich schon ein wenig abseits von den Dingen steht, ist es vermutlich schon zu spät.«
      »Für eine solche Frage ist es immer zu spät«, erwiderte ich. »Von dem Tag an, an dem man geboren wird.«
      Ich spürte eine gewisse Gereiztheit. Diese Art von Unterhaltung paßte mir nicht, und trotzdem steckte ich schon mittendrin, auch wenn ich den leisen Verdacht nicht loswurde, daß Burke mich einwickeln wollte, in einem Spinngewebe von irischem Humbug fangen, den er geradezu mit bühnenreifem Talent zelebrierte.
      Er sah mich an und fragte mich fast drängend: »Und was ist mit dir, Stacey? Woran glaubst du? Woran glaubst du denn wirklich?«
      Ich brauchte nicht einmal mehr nachzudenken, nicht mehr nach dem Aufenthalt im Loch. »In Kairo war ein alter Mann namens Malik bei mir in der Zelle.«
      »Weshalb?«
      »Wegen irgendeiner politischen Sache. Ich bin nie dahinter
    gekommen. Am Schluß haben sie ihn weggebracht. Er war Buddhist – ein Zen-Buddhist. Er wußte jedes Wort, das Bodidharma je gesagt hatte.

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