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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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mit der Lupara erledigt hatte, war schwierig, und trotzdem hatte er genau getroffen. Aber abgesehen davon, waren schon die ersten Anzeichen eines Abstiegs bei ihm bemerkbar, und die Sache sah gar nicht gut aus. Vorläufig verscheuchte ich jedoch diese Gedanken und konzentrierte mich auf die Fahrt.
      Die Frühjahrsernte war fast vorüber, die Orangen reiften in der warmen Sonne, und überall blühte es. Roter Mohn, Ane monen und an manchen Stellen blaue Schwertlilien breiteten sich wie ein Teppich aus, soweit das Auge blickte. Noch eine Woche, und der Sommer würde das Land mit eiserner Faust packen und trockenquetschen, bis die Hochebene nur noch eine verdurstende Wildnis war, ein karger Streifen Nordafrika, ein Land der Felsen, des Sandes und der Lava.
      Je weiter wir uns von Palermo entfernten und ins Herz der Insel vorstießen, um so klarer wurde mir, wie wenig sich doch verändert hatte. Hier draußen war nichts von den Lambrettas und Vespas zu bemerken, die in der ländlichen Gegend rings um Palermo so häufig anzutreffen waren. Hier fuhr man durch eine mittelalterliche Landschaft, hier herrschte eine Armut, wie man sie in Europa nur noch an wenigen Stellen trifft.
      Ein alter Bauer auf einem Esel kam vorüber, dann begegneten wir einer Reihe abgehärmter Frauen mit Körben auf den Köpfen, gekleidet in tristes Schwarz, als betrauerten sie ihr Dasein, die Rocksäume braun vom aufgewirbelten Staub. Ihre vorzeitig gealterten Gesichter bildeten ein erschreckendes Spalier, als wir vorbeifuhren.
      Die Dörfer machten denselben Eindruck. Die meisten Häuser hatten keine Fenster, und die Tür war die einzige Quelle für Licht und Luft. Sie führte in eine dunkle Höhle, die in den meisten Fällen nicht nur von Menschen, sondern auch von Schweinen und Ziegen bewohnt wurde.
      In den Dörfern waren fast nur Frauen, alte Männer und hagere, hungrig dreinschauende Kinder zu sehen, die in einer sterbenden Landschaft dahinvegetierten.
      In einem solchen Ort hielt ich vor einer kleinen Trattoria an. Wir saßen an einem rohen Holztisch im Schatten eines Baums. Der Besitzer, ein uralter Mann mit weißem Haar, brachte uns eine Flasche Passito, die er eiskalt vom Grund seines Brunnens heraufgeholt hatte.
      Es war etwa elf Uhr, wurde aber schon sehr warm. Als uns eine Schar Kinder mit todernsten Gesichtern umringte, stieg uns der säuerliche Geruch ihrer ungewaschenen Körper in die Nasen.
      »Gibt's denn hier keine Männer?« fragte Burke.
      Er sah müde aus und schwitzte stark. Sein Hemd wies unter beiden Achseln große dunkle Flecken auf.
      »Die meisten von ihnen sind ausgewandert«, antwortete ich. »Wie ich gehört habe, besteht in einigen Provinzen die Bevöl kerung zu fünfundachtzig Prozent aus Frauen und Kindern.«
      Er verzog angeekelt das Gesicht und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Was für ein verdammtes Land!«
      Rosa Solazzo hatte sich zurückgezogen und das Örtchen aufgesucht, das hierzulande nur eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Toilette haben mochte. Sie kam gerade noch recht, um seine letzte Bemerkung aufzuschnappen. Sie schien ihr nicht zu gefallen.
      »Dies hier ist eins der ärmsten Gebiete in ganz Europa, Oberst Burke. Im Sommer herrscht hier dasselbe Klima wie in Nordafrika. Der Boden wird kaum genutzt, und die geringen Wasservorräte werden von der Mafia kontrolliert. Diese Leute werden in eine Welt ohne Hoffnung hineingeboren. Was bleibt ihnen denn sonst übrig, als nach einem Ausweg zu suchen?«
      Es war vergebliche Liebesmüh – er würde sie doch nie verstehen. Die Leute, von denen sie sprach, waren ihr eigenes Volk – sie war eine von ihnen und hatte ihren Lebenslauf vermutlich in einem ganz ähnlichen Dorf wie diesem hier begonnen.
      Burke lachte geringschätzig. »Sie zumindest scheinen ganz gut zurechtzukommen.«
      Sie drängte sich durch die Kinderschar hindurch und stieg in den Fiat ein. Ich trank mein Glas leer, schüttelte den Kopf, als Burke sich noch einmal nachschenken wollte. »Das würde ich an deiner Stelle lassen. Dieser Passito ist ein Teufelszeug.«
      Jetzt füllte er sein Glas natürlich erst recht bis an den Rand. Ich ließ ihm seinen Willen und setzte mich wieder ans Steuer. Dann holte ich meine Zigaretten hervor und bot Rosa eine an.
      »Das vorhin tut mir leid, er begreift es nicht.«
      Sie war erbittert und aufgebracht. »Sparen Sie sich Ihr Bedauern. Er sagte das wenigstens nur aus Unkenntnis, aber Sie und

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