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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Karte jenseits des Berges, etwa vierhundert Meter unterhalb des Gipfels. »Dort oben steht neben einem Bach eine Schäferhütte. Sein dauernder Aufenthalt, wenn er nicht gerade wieder auf der Flucht ist.«
      Ich konnte meine Überraschung nicht verhehlen. »Sind Sie sicher?«
      Er lächelte betrübt. »Ich will Ihnen nichts vormachen. Auch wenn man weiß, wo sich Serafino aufhält, hat man ihn noch lange nicht geschnappt. Jeder Schäfer oben am Berg verehrt ihn, jeder einzelne Ziegenhirt. Sie haben von einem Gipfel zum anderen ein System von Signalen eingerichtet, über das er genau erfährt, wann jemand kommt, auch wenn derjenige noch drei oder vier Stunden entfernt ist. Ich habe versucht, ihn mit bergerfahrenen Leuten aus der Umgebung zu fassen. Es ist uns nie gelungen.«
      »Wieviele Leute hat er bei sich?«
      »Im Augenblick drei: die Brüder Vivaldi und Joe Ricco.«
      Ich sah mir die Karte genau an, dann bat ich ihn, mir die Gegend ausführlich zu beschreiben. Ich brauchte mir keine Notizen zu machen, schließlich tat ich so etwas nicht zum erstenmal.
      Als er fertig war, nickte ich und faltete die Karte zusammen. »Kann ich sie behalten?«
      »Natürlich. – Es ist Ihnen doch jetzt klar, daß es nicht geht?«
      »Im Gegenteil.« Ich lächelte. »Ich bin jetzt viel zuversicht
    licher als zuvor. Ich glaube, ich gehe ein bißchen spazieren, ich muß mich ein wenig umsehen. Bis später.«
      In der Tür zur Straße blieb ich halb geblendet vom plötzlichen grellen Sonnenlicht stehen und setzte meine Sonnenbrille auf. Rosa saß am ersten Holztisch gleich neben dem Wagen, das Tablett vor sich. Sie war nicht allein. Die beiden Kerle, die sie umlungerten, waren typisch für die jungen Männer, die man hier in der Gegend manchmal noch findet. Das harte Leben hatte ihre Gesichter faltig werden lassen, ihre Kleidung war schäbig und geflickt, die Stiefel zerrissen, dazu trugen sie Stoffmützen, die überall anders in Europa längst aus der Mode gekommen waren.
      Rosa saß steif aufgerichtet da, rauchte eine Zigarette und starrte ins Leere. Einer von ihnen sagte etwas. Ich verstand es nicht, aber sie schüttete ihm den Rest ihres Kaffees ins Gesicht.
      Für einen sizilianischen Mann ist eine Frau nur zu seinem Vergnügen und zum Gehorchen da. Unvorstellbar, sich von einer solchen Frau öffentlich beschämen zu lassen. Einige der neugierigen Kinder lachten, da griff er wütend über den Tisch und riß sie hoch. Die Rechte hatte er schon zum Schlag erhoben.
      Ich packte ihn bei der Schulter und drehte ihn herum. Wir starrten einander eine ganze Weile an, sein Gesichtsausdruck änderte sich bereits, bevor ich ihm den Handrücken ins Gesicht schlug. Ich sagte kein Wort. Er hob seine Hand an die Wange, und sein Freund zupfte ihn am Ärmel. Im Rückwärtsgang, mit ausdruckslosen Gesichtern, zogen sie sich ein paar Schritte zurück, dann machten sie kehrt und rannten davon.
      Rosa trat neben mich und knöpfte ihre Jacke zu. »Und was hätten Sie gemacht, wenn beide gemeinsam auf Sie losge gangen wären? Geschossen?«
      »Sie sind ja nicht auf mich losgegangen«, erklärte ich.
      »Nein, Sie haben recht: Die beiden waren klug genug, sich nicht mit der Mafia anzulegen.«
      »Und woher hätten sie das wissen sollen?«
      »Spielen Sie doch nicht Verstecken mit mir, Mr. Wyatt. Haben Sie neuerdings einmal vor einem Spiegel gestanden? Sie tragen ganz deutlich den Stempel ›Mafioso‹ im Gesicht. Jeder kann's sehen: die Selbständigkeit, die Macht, die stille Arroganz. Sie haben mit dem armen Kerl ja nicht einmal geredet. Das war für ihn das Erniedrigendste.«
      »Für Sie – oder für ihn?« Ich drängte ihre bereits erhobene Hand zur Seite. »Arme Rosa. Sie tragen Wäsche und Kleider aus London und Paris und werden dabei doch Ihre Schuld gefühle nicht los. Warum? Haben Sie vielleicht Geschwister, die immer noch so leben wie diese hier?«
      »So ungefähr.« Sie nickte. »Sie kommen sich sehr schlau vor, nicht wahr, Mr. Wyatt?«
      »Stacey«, sagte ich. »Nennen Sie mich Stacey. Und jetzt gehen wir spazieren.«
      Hinter dem Dorf fanden wir einen leicht geneigten Wiesen hang, der sanft hinaufführte zum ersten Felsgrat, zu dem dunklen Waldstreifen dahinter – und dann erhob sich nur noch nackter Fels bis hinauf zum Gipfel, der in der Hitze flimmerte.

  Ich hatte den Feldstecher aus dem Wagen mitgenommen und
    breitete die Karte, die Gerda mir gegeben hatte, auf dem

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