Nacht ohne Erbarmen
ich. »Es ist mir klar, daß er mit einer ungewöhnlichen Phantasie begabt ist.«
»Wollen Sie die Wahrheit hören? Das können Sie haben.« Die Beretta zielte jetzt nicht mehr auf mich, dafür war Joanna aber richtig wütend. »Mit mir ist es genauso wie mit einer Lebensversicherung: Ich bin tot mehr wert als lebend. Meine Mutter hat mir ihr ganzes Vermögen hinterlassen und meinen Stiefvater als Verwalter eingesetzt. Das war ein Fehler von ihr. In drei Wochen werde ich einundzwanzig und kann dann frei darüber verfügen. Wenn ich vorher sterbe, bekommt Hoffer alles. Zweieinhalb Millionen Pfund Sterling.«
Im Vergleich dazu war das, was er uns bezahlte, wirklich nur ein lächerliches Taschengeld.
Sie fuhr fort: »Das einzig Wahre an seiner Geschichte ist die Tatsache, daß er Serafino Lentini fünfundzwanzigtausend Dollar bezahlt hat – wenn auch aus anderen Gründen. Ich sollte überfallen werden, als ich eines Abends allein Freunde in Villabla besuchen fuhr. Man sollte mich ausgeraubt und erschossen neben meinem Wagen finden, so daß man mich leicht identifizieren konnte. Dann wäre ich nichts anderes gewesen als eben ein weiteres Opfer des Banditenunwesens.«
»Aber Serafino wollte nicht mitspielen?«
»Zuerst hatte er es vor. Als an jenem Abend Serafino und seine Leute mich anhielten und ich neben meinem Wagen stand, dachte ich schon, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Ich glaube kaum, daß ich jemals wieder dem Tod so nahe sein werde.«
»Und warum hat er es sich anders überlegt?«
»Er hat mir gesagt, daß ich ihm gefiele, daß ich ihn an seine jüngere Schwester erinnere, die vor einem Jahr im Kindbett gestorben ist. Die Wahrheit dürfte wohl sein, daß er meinen Stiefvater nicht mag. Offenbar hatten die beiden schon früher miteinander zu tun, aber darüber hat er mir nie viel erzählt.«
»Und warum hat er sich dann überhaupt mit Hoffer abgegeben?«
»Er brauchte Geld – viel Geld. Er kann sich nur für eine Sache begeistern: Er will nach Südamerika auswandern und dieses Leben hier hinter sich lassen. Ich glaube, daß ich nur deshalb noch am Leben bin, weil ihm plötzlich der Gedanke kam, daß es recht lustig sein könnte, Hoffers Geld zu nehmen, ohne seinen Teil der Vereinbarung einzuhalten.«
»Dann hat er Sie also mit in die Berge genommen?«
»Ich bin seitdem bei ihm.«
»Und Sie machen sich nie Sorgen darum, daß er es sich genauso plötzlich wieder anders überlegen könnte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht im geringsten. Seit ich ihm und seinen Leuten erklärt habe, wie die Lage wirklich ist, wissen sie nur zu gut, wo ihr Vorteil liegt.«
»Ja, natürlich«, sagte ich leise. »Sie brauchen ja nichts anderes zu tun, als sich lange genug am Leben zu halten, dann bekommen Sie jede Menge Geld.«
»Genau. Wenn erst einmal alles zufriedenstellend geregelt ist, bekommen die vier von mir die Überfahrt nach Südamerika und noch dazu hunderttausend Pfund.«
Damit war alles geklärt. Oder vielleicht doch nicht? Vieles von dem, was mir Rätsel aufgegeben hatte, war zwar klar, aber es gab immer noch einige Dinge, die absolut nicht ins Bild paßten.
Sie nannte einen dieser Punkte. »Etwas verstehe ich nicht: Was sollten Sie eigentlich tun, nachdem Sie mich erst einmal in Händen hatten?«
»Sie zu Hoffer bringen. Er erwartet uns persönlich auf der Straße nach Bellona.«
»Hat er denn nicht damit gerechnet, daß ich etwas zu Ihnen sagen würde? Sobald Sie hierherkamen, mußte Ihnen doch aufgehen, daß ich nicht die Sklavin von Serafinos Leiden schaften bin, zu der er mich gestempelt hat.«
Diese Frage bedrückte mich auch schon seit einer ganzen Weile, aber ich konnte mir nur eine einzige plausible Erklärung dafür denken, und die stellte sie selbst gleich darauf klar.
»Damit sind wir wieder bei Punkt eins«, sagte sie. »Bei der einzig logischen Erklärung: Sie sind abgesprungen, um mich zusammen mit Serafino und seinen Männern zu erledigen. Dann geht mein Stiefvater zur Polizei, ringt verzweifelt die Hände und erzählt irgendeine Geschichte von der Angst, die er um mein Leben ausgestanden habe, und daß er sich nicht getraut hätte, amtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber nun könne die Sache so nicht mehr weitergehen. Die Polizei durchsucht dann das Gebiet und findet unsere Überreste.«
»Wird man nicht fragen, wer dafür verantwortlich ist?«
»Hier in den Bergen gibt es
Weitere Kostenlose Bücher