Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
Vom Netzwerk:
tödliche Waffe. Das war ich für ihn – und etwas anderes war ich nie gewesen.
      Ich stolperte weiter, zog den Esel hinter mir her, und die Vergangenheit ging mir durch den Kopf. Diese Vergangenheit hieß Burke.
      Seine Beziehungen zu Pete Jaeger waren offenbar anderer Art, aber in dieser Weise war er mir niemals krumm gekommen, weil ihn wohl sein Instinkt davor warnte.
      Wie schon gesagt, duldete er anfangs nur widerwillig meine Neigung zu Frauen und Schnaps. Wenn ich mich jetzt rück blickend daran erinnerte, wie sich seine Haltung allmählich, was diese Dinge betraf, in wohlwollendes Verständnis verwandelte, fragte ich mich, inwieweit er wohl kapiert hatte, daß er mich dann leichter für seine Zwecke einsetzen konnte.
      Wer war ich eigentlich – Stacey Wyatt oder nur Sean Burkes Kreatur? Nein! Zum Teufel damit! Ich war nur ich selbst, eine andere Art von Klavierspieler, ein Mann, der nur für sich selbst und für keinen anderen spielte.
      Wir waren nun schon seit gut vier Stunden unterwegs. Als ich anhielt und nach dem Mädchen sah, hatte sich ihr Zustand nicht verändert, doch sie atmete immer noch leise, und nur darauf kam es an.
      Ich selbst war längst jenseits aller Schmerzen. Meine Schulter existierte nur als dumpfer Schmerz, ich hatte ganz vergessen, daß ich überhaupt einen rechten Arm besaß, und als sich Wolken vor die Sonne schoben und schwere Regentropfen gegen die Steine ringsum spritzten, faßte ich neuen Mut – ich, Stacey Wyatt, der große Überlebenskünstler.

    Wenn im Spätfrühling oder Frühsommer die erste richtige Hitze einsetzte, sind im sizilianischen Hochland heftige Gewitter an der Tagesordnung, und gelegentlich dauert so ein Wolkenbruch über den Bergen einen halben Tag oder noch länger.
      Wenn ich jetzt zurückblicke, war es wohl der Regen, der uns rettete. Manche Menschen sind von Natur aus Regenfreunde – es ist für sie wie eine Aufmunterungsspritze, wenn sie nur im Freien sein und spüren dürfen, wie das Wasser auf sie niederprasselt. Ich habe immer zu dieser glücklichen Sorte gehört, und deshalb bedeutete das schwere Gewitter, das an jenem Morgen über der Cammarata niederging, für mich auch einen psychologischen Auftrieb. Aber es steckte noch mehr dahinter. Plötzlich wurde die Erde lebendig. Ich schritt nicht mehr durch eine tote Welt, überall war Frische zu spüren.
      Vielleicht fieberte ich ein wenig, denn ich merkte plötzlich, wie ich das berühmte alte Marschlied der Fremdenlegionäre sang, das Legrande mir vor Jahrhunderten beigebracht hatte, als wir noch Brüder waren – bevor sich die Korruption ausgebreitet hatte.
      Der Regen prasselte jetzt laut herab. Ich marschierte über eine Anhöhe, die sich quer vor das Ende eines kleinen Tales schob, sah durch den grauen Regenvorhang hinunter und erkannte neben dem weißen Streifen, der die Straße darstellte, den Ort Bellona.
      Ich mußte laut lachen und schrie zum Himmel hinauf: »Jetzt hab' ich dich, Burke. Bei Gott, jetzt hab' ich dich!«
      Ich drehte mich um und griff wieder nach dem Zügel des Esels. Dabei merkte ich, daß Joanna den Kopf zur Seite gedreht hatte und die Augen geöffnet hielt. Eine ganze Weile starrte sie mich vollkommen ausdruckslos an, dann glitt unendlich langsam ein Lächeln über ihre Züge.
      Ich brachte kein Wort hervor, sondern berührte nur ganz einfach behutsam ihre Wange. Dann nahm ich den Zügel wieder auf und stolperte den Hügel hinunter.

    14

    Diese letzte Stunde auf den unteren Hängen war die allerschlimmste. Die dünne Erdkrume, durchweicht vom unablässigen Regen, erwies sich als sehr tückisch. Ich glitt zweimal aus und verlor das Gleichgewicht, und einmal rutschte auch der Esel zur Seite, so daß mir der Zügel aus der Hand gerissen wurde. Das Herz schlug mir bis in den Hals hinauf. Eine Sekunde lang sah es so aus, als würde er stürzen. Das wäre eine Katastrophe gewesen.
      Joanna Truscott hatte die Augen wieder geschlossen. Ich nahm an, daß sie in ihre Bewußtlosigkeit zurückgeglitten war. Ich packte den Zügel des Esels dicht vor seinem Maul und setzte den Abstieg fort. Ich hielt dabei mit aller Kraft, die noch in mir steckte, und mit eisernem Willen seinen Kopf hoch.
      Wieder hörte die Zeit auf zu existieren. Jetzt lag es aber wohl mehr daran, daß sich das Fieber stärker bemerkbar machte. So rutschten wir miteinander durch Dreck und Regen hinunter, und einmal merkte ich, wie jemand dem Esel ganz vernünftig zuredete, er

Weitere Kostenlose Bücher