Nacht ohne Erbarmen
Ich dachte an Burke und daran, wie er mich hereingelegt hatte.
Nein, es war noch schlimmer: Er hatte mich auf der ganzen Linie geschlagen. Ich dachte auch darüber nach, wie ich mit ihm abrechnen wollte. Diese Gelegenheit malte ich mir in verschiedenen Variationen aus, trank noch etwas Brandy und wartete weiter.
Nichts lernt sich so schwer wie Warten, aber einem Soldaten bleibt nichts anderes übrig, wenn er den Krieg überleben will. In Kasai kauerte ich einmal mit Burke und vier anderen in einem knapp ein Meter tiefen Graben, während der Boden über uns von schwerem MG-Feuer zerpflügt wurde. Burke ermahnte uns, daß wir uns jetzt in Geduld üben müßten, denn heraus zuspringen wäre Wahnsinn gewesen. Aber die anderen brachen einer nach dem anderen zusammen, suchten das Heil in der Flucht und wurden niedergemäht. Als es fünf Stunden später dunkel wurde, krochen Burke und ich völlig ungefährdet davon.
Meine Schulter hatte aufgehört zu bluten. Das verdankte ich vermutlich dem eiskalten Wasser des Gebirgsbaches. Gott sei Dank war es ein glatter Durchschuß, wie ich im nächsten Augenblick entdeckte, als ich mit den Fingerspitzen der linken Hand ganz vorsichtig die Schulter betastete. Auch die Ränder der Ausschußöffnung schienen sich eng geschlossen zu haben. Natürlich hatte ich Blut verloren, aber es bestand keine un mittelbare Gefahr, und ich konnte vorerst auf einen Notverband verzichten.
Ich ließ etwa eine Stunde verstreichen. Dann arbeitete ich mich vorsichtig zwischen den Bäumen hindurch bis zum höchsten Punkt der Felskante. Von hier aus sah ich die Hütte, den Rauch des Feuers, aber kein Lebenszeichen.
Drüben in dem Gebüsch rechts von mir bewegte sich etwas. Geduckt wartete ich, dann erschien einer der Esel. Ein Geier stieß einen rauhen Schrei aus, schwebte über die Lichtung und stieg dann wieder in die Luft. Nach einer ganzen Weile ließ er sich auf dem Dach der Hütte nieder. Das hätte er niemals getan, wenn noch ein menschliches Wesen in der Nähe ge wesen wäre. Ganz vorsichtig schlich ich hinüber zur Lichtung. Als ich in die Nähe kam, schwang sich der Geier empor und ließ mich mit den Toten allein.
Zuerst stieß ich auf Legrandes Leiche. Allerdings war sie kaum noch zu erkennen. Man hatte ihm seinen Tarnanzug ausgezogen, vermutlich, um jedes Aufsehen zu vermeiden.
Serafino und seine drei Freunde lagen so dicht beisammen, daß sich ihre ausgebreiteten Arme und Beine berührten. Im Tod zeigte Serafino mit entblößten Zähnen ein wildes Lächeln. Ich schätzte, daß er sieben oder acht Geschosse abbekommen hatte. Die anderen lagen ähnlich da bis auf Joe Ricco, der sich vermutlich zur Flucht gewandt hatte; er hatte seine Ladung in den Rücken bekommen.
Nun war mir alles völlig klar. Das Mädchen hatte recht gehabt: Hoffer hatte es wirklich nur auf ihren Tod abgesehen und zusammen mit Burke alles geplant. Nun würde er zur Polizei laufen, widerstrebend seine Geschichte von der Ent führung, von der Lösegeldzahlung und davon erzählen, daß es ihm nicht gelungen sei, das Mädchen zurückzuholen. Die Polizei mußte zumindest so tun, als ob, man würde die Gegend der Form halber absuchen, wie sie es so oft zuvor getan hatten, und damit rechnen, daß Serafino ihnen wieder eine Nasenlänge voraus war – nur war es diesmal anders.
Wenn sie diesmal mit ihrer Suche an der gewohnten Stelle begannen, würden sie auf die Metzelei stoßen, scheinbar auf die Überreste eines Kampfes zwischen rivalisierenden Banden, wie das Mädchen mir gegenüber angedeutet hatte.
Dann würden sie in der Kathedrale von Palermo ein paar Kerzen anzünden, Hoffers Freunde würden ihre Beileids besuche abstatten, und er konnte sich mit einer Hand eine Träne abwischen, während er mit der anderen jene Papiere unterschrieb, die ihm zweieinhalb Millionen verschafften.
Das Mädchen lag halb auf der Seite. Als ich sie umdrehte, hielt ich unwillkürlich die Luft an. Ihr Gesicht war blut überströmt, und schon ließen sich Fliegen darauf nieder. Ich hatte den Tod in all seinen schrecklichen Erscheinungsformen immer und immer wieder erlebt, und dennoch ging ich jetzt plötzlich in die Hocke, weil mir schwach wurde. Das Mitleid überwältigte mich, die Trauer um die Tragödie, die diesem jungen Mädchen zugestoßen war.
Wieder mußte ich an Burke denken. Er hatte mich zum Narren gehalten – bis zuletzt, hatte Jaeger mitgenommen und sogar den armen, alternden
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