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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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lag ganz still da, und sie hatte beide Arme locker von sich gebreitet. Da sie keinerlei Lebens zeichen von sich gab, hätte sie genausogut eine Marmorgestalt sein können, die auf dem Deckel ihrer eigenen Gruft lag.
      Wenn ich sie hierließ und mich sehr beeilte, konnte ich es in fünf bis sechs Stunden bis Bellona schaffen, immer voraus gesetzt, daß ich nicht unterwegs zusammenbrach. Selbst ein so tüchtiger Mann wie Gerda würde dann etwa eine Stunde brauchen, um eine Rettungsmannschaft zusammenzustellen. Der Rückweg hinauf in die Berge mußte noch mehr Zeit in Anspruch nehmen.
      So war die Lage also: Wenn ich sie hierließ, mußte sie mindestens fünfzehn bis sechzehn Stunden allein hier liegen, höchstwahrscheinlich noch länger. Bis dahin konnte sie tot sein, und das wollte ich unter gar keinen Umständen zulassen. Sie mußte am Leben bleiben, und ich wollte dabeisein und Hoffers Gesicht sehen, wenn er es erfuhr.
      Die Tiere, die zuvor so friedlich hier gegrast hatten, waren verschwunden, offenbar verjagt von der Schießerei. Neben der Tür der Hütte hingen ein paar Zügel. Ich nahm einen davon, ging ein Stück in den Wald hinein, bis ich schließlich zwei der Ziegen und einen der Esel fand, die nebeneinander an einem Busch knabberten. Der Esel ließ sich von mir die Zügel anlegen und ohne Schwierigkeiten auf die Lichtung zurückführen. Ich band ihn neben der Hütte an.
      Das Tier hatte vermutlich den Nachschub für Serafino und seine Männer heraufgeschleppt. Das bedeutete, daß es irgendwo einen Packsattel geben mußte. Ich fand zwei Exemplare davon in der Hütte, beide, wie hier üblich, aus Holz und Leder gefertigt, mit einem großen V-förmigen, hölzernen Trog versehen, in den die Säcke gepackt werden konnten.
      Der Brandy war mir zu Kopf gestiegen, die Schmerzen in meiner Schulter schienen im Augenblick etwas zurückzugehen. Ich schleppte einen der Sättel hinaus und brachte es beim dritten Versuch fertig, ihn dem Esel auf den Rücken zu schwingen. Weiß Gott, was geschehen wäre, wenn das Tier sich starrsinnig verhalten hätte, aber es stand ganz friedlich da und knabberte am Gras herum, während ich den Sattelgurt festzurrte.
      Schwieriger war es schon, Joanna Truscott hinaufzu bugsieren, aber nach einigem Bemühen hatte ich sie vor mir knien und ließ sie mir quer über die linke Schulter fallen. Ich legte sie mit dem Rücken in den hölzernen Trog, und zwar ganz und gar nicht sanft, aber sie gab keinen Laut von sich, sie blieb regungslos da liegen, das Gesicht dem Himmel zugewandt, die Beine zu beiden Seiten herabbaumelnd. Ich holte eine Decke aus der Hütte und deckte sie so gut wie möglich zu, dann band ich sie mit einer alten Schnur fest.
      Als ich fertig war, lief mir der Schweiß aus allen Poren. Ich setzte mich hin und tastete automatisch nach meinen Zigaretten. Ein durchweichtes, gelbgefärbtes Papierknäuel war alles, was davon übriggeblieben war. Ich ging hinüber zu den Leichen und fand eine Packung in Riccos Brusttasche. Es war eine hier übliche billige, scharfe Marke, aber immer noch besser als gar nichts. Ich rauchte eine Zigarette bis zum Ende, genehmigte mir noch einen Schluck von Rosas Brandy, wickelte mir dann das Ende des Zügels fest um die linke Hand und brach auf.

    Als ich an jenem Morgen durch die Wildnis des Monte Cammarata stolperte, hörte die Zeit auf zu existieren, die Steine, die unfruchtbaren Täler und die kahlen Hügel flossen mit dem Horizont zusammen wie ein Bild, das unscharf eingestellt ist, und ich marschierte blindlings weiter.
      Nichts drang in mein Bewußtsein durch. Ich stolperte vor meinem Esel dahin, da sagte ganz deutlich eine Stimme: ›Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt: Klaviere und Klavierspieler.‹
      Das hatte Burke zu mir gesagt, als wir beisammen in der Bar von Mawanza saßen.
      Ein unnötig kompliziertes Gleichnis, das nur eines besagte: Es gab solche, die etwas geschehen ließen, und andere, die es taten. Aber damals hatte ich ihm geglaubt.
      Wie ich jetzt da am Berg stand, verfolgten mich wieder jene Worte aus der Vergangenheit, und beim Gedanken an diesen Vorfall wurde mir plötzlich klar, daß ich ihm persönlich völlig gleichgültig war. Er hatte nur an sich selbst gedacht – und so war es immer gewesen. Er mußte mich zusammenstauchen und zu seiner Denkweise bekehren, weil er mich brauchte. Weil ich für ihn genauso wichtig geworden war wie die Waffe in seiner Hand. Eine erstklassige,

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