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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen
Autoren: Jack Higgins
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linker Arm, der Revolver und fünf Patronen. In Anbetracht meiner augenblicklichen Stimmung mußte das genügen.
      Jeder professionelle Revolvermann hat es mit zwei Arten des Tötens zu tun. Die erste ist das Töten aus einem Impuls heraus, der durch eine besondere Situation hervorgerufen wird. Für gewöhnlich geht es dabei um das eigene Leben oder um das Leben des Auftraggebers.
      Der zweite Fall ist etwas ganz anderes: eine kühl überlegte Aufgabe, bei der alle Umstände sorgfältig überdacht und die Risiken im voraus mit einbezogen werden. Aber auch das genügt noch nicht. Ebenso wichtig ist die seelische Vorbe reitung. Man muß seine ganze Persönlichkeit wie eine Uhr aufziehen, um dann, wenn die rechte Zeit gekommen ist, augenblicklich zum Töten bereit zu sein.
      Das ist es eigentlich, was den echten Profi von allen anderen unterscheidet: die Bereitschaft, ohne das geringste Zögern zu töten.
      Ich hatte sie. Stacey Wyatt brachte es fertig. Er hatte es oft genug tun müssen, und er würde es heute abend und wahrscheinlich auch danach wieder tun.
      Seltsam, daß ich überhaupt nicht an die Möglichkeit meines eigenen Todes dachte. Genau wie der Berufsverbrecher nie mals daran denkt, daß er beim nächsten mal vielleicht geschnappt werden könnte.
      Ich bremste und wurde für kurze Zeit von einer Verkehrs stauung an der Brücke über den Fiume Oreto aufgehalten. Von hier aus führte die Straße nach Messina. Mein Gesicht brannte, vermutlich vom einsetzenden Fieber, und ich hielt den Kopf hinaus in den Regen. Er fiel kühl und erfrischend auf mich herab.
      Dann geschah etwas Seltsames: Für einen ganz kurzen Augenblick verblaßte der Verkehrslärm, und alle Geräusche verstummten bis auf das Klatschen der Regentropfen in den Zweigen auf der anderen Seite der Straße. Ich hatte so etwas zuvor noch nie erlebt, und der Duft der Blüten im Garten des Hauses auf der anderen Seite erfüllte unerträglich süß die Nacht.
      Es war nur ein ganz flüchtiger Augenblick, der von einer Hupe hinter mir unterbrochen wurde. Ich fuhr weiter und kehrte wieder einigermaßen in die Wirklichkeit zurück. Aber stimmte das auch? Wer war ich denn? Was, zum Teufel, sollte das alles? Was wollte ich hier?
      Als ich beim Tod meiner Mutter aus Sizilien flüchtete, rannte ich vor vielen verschiedenen Dingen davon. Ich floh vor dem Schmerz und wahrscheinlich auch vor der Grausamkeit des Lebens, die mich anekelte. Und ich floh vor meinem Großvater, den ich sehr liebte und der nun als Ungeheuer vor mir stand, als ein Mann, der sich am Elend der Armen mästete und der mit göttlicher Unfehlbarkeit den Tod befahl.
      Aber indem ich vor Barbaccias Enkel davonlief, flüchtete ich auch vor dem Jungen, den man in Wyatt Landing nicht haben wollte. Ich rannte vor dem Leben dieses Stacey Wyatt davon und dem, was die Umstände aus mir gemacht hatten.
      Und ich hatte Gelegenheit gefunden, mich selbst wieder zuentdecken, mein wahres Ich, mich und keinen anderen. Für eine gewisse Zeit war das ganz gutgegangen. Ich hatte es bis nach Mosambique und Lourengo Marques geschafft, und ich wäre wohl auch noch weiter gekommen, bis ich aus eigener Kraft an irgendeinem Ziel angekommen wäre. Ich hätte es geschafft, da ich mich selbst kannte, soweit das überhaupt möglich ist, da ich wußte, wozu ich in der Lage war.
      Aber dann hatte es das ›Licht von Lissabon‹ gegeben. Ich war Sean Burke begegnet und ein ganz anderer Stacey Wyatt geworden. Das blieb ich auch ziemlich – bis zum Loch. Ich glaube, viele Menschen erleben irgendwann ihr ›Licht von Lissabon‹, aber nur wenige müssen das Erlebnis in einem solchen Loch durchmachen. Nun, ich hatte dieses Loch mit all seinem Dreck und seiner Finsternis erlebt, und ich hatte es überstanden.
      Dabei lernte ich einen Stacey Wyatt kennen, der mir niemals zuvor begegnet war, einen Mann, der Fragen stellte – viele Fragen sogar.
      Meine Rückkehr nach Sizilien war nicht nur zwangsläufig gewesen, sondern auch von ausschlaggebender Bedeutung. Das erkannte ich jetzt. Ich mußte diese unglaubliche Gestalt wiedersehen, die Bestandteil meiner Jugend war, Vito Barbaccia, Herr über Leben und Tod, Capo der Mafia von ganz Sizilien, meinen Großvater. Er wollte mir weismachen, daß ich ebenso ein Mafioso sei wie er, nur noch besser. Ich spürte es, daß er in mir bereits seinen Nachfolger am Kopf der Haupt versammlung sah, wenn er einmal abtreten mußte.
      Aber er täuschte
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