Nacht ohne Schatten
Wein bestellt, und als das Lokal schloss, am Kiosk eine weitere gekauft, und während sie die in Judiths Wohnung tranken, haben sie nicht mehr nur über die neuen und die alten Zeiten geredet, sondern auch Rockmusik gehört und getanzt, und dann war auch diese Flasche leer, und Judith hatte noch Kölsch, und alles war leicht, schwebend, so leicht wie lange nicht mehr.
Das Nächste, was Judith wahrnahm, war Cora, die schon immer die bessere Kondition gehabt hatte und nun vor Judiths Bett stand, sie an der Schulter rüttelte und fragte, warum sieim Schlaf so schrecklich schreie. Judith hatte keine Antwort gewusst, nicht einmal an den sich ewig wiederholenden Albtraum vom Fallen konnte sie sich in diesem Moment erinnern. Sie war einfach wieder eingedöst, getröstet durch Coras Anwesenheit. Ich geh jetzt heim, dein Sofa ist auf Dauer nicht sehr bequem, hatte Cora geflüstert, und irgendwann später hatte Judiths Wecker geklingelt. Wie ferngesteuert war sie aufgestanden, hatte die zwei Aspirin runtergewürgt, die die Freundin ihr auf den Küchentisch gelegt hatte, und sich ein Taxi bestellt.
Judith grinst ihr lädiertes Spiegelbild an. Frau Kommissarin feiert Orgien und verträgt sie nicht mehr. Immerhin war sie so umsichtig gewesen, am Kiosk noch eine Rolle Pfefferminzbonbons zu kaufen. Sie schiebt sich gleich zwei in den Mund, bevor sie zurück zum Morgenmeeting geht, wo sie auÃer Holger Kühns sich selbst beweihräucherndem Geschwafel nichts Nennenswertes verpasst hat, denn die Kriminaltechniker Karin und Klaus standen im Stau.
»Also?« Kühn lehnt sich erwartungsvoll zurück.
Karin Munzinger wühlt in ihren Unterlagen, nickt Judith zu. »Die Blutreste an dem Messer aus Thea Markusâ Atelier stammen eindeutig von dem Opfer Wolfgang Berger. Wir können also davon ausgehen, dass es die Tatwaffe ist.«
»Die Markus ist laut Rechtsmedizin zu klein, um als Täterin infrage zu kommen.« Jedes einzelne Wort hallt in Judiths Kopf nach. »Sie hat ausgesagt, dass sie das Messer an Nada verliehen und nicht zurückerhalten hat.«
»Aber du hast die Tatwaffe im Werkzeugkasten der Markus sichergestellt.« Akten studieren und ihre Inhalte referieren kann Kühn, das muss man ihm lassen.
Judith nickt. Ein Fehler, den sie mit heftigen Stichen an den Schläfen bezahlt. Sie verschluckt eines der Pfefferminzbonbons, unterdrückt den erneuten Würgereiz. »Thea Markus behauptet, sie habe das Messer dort nicht bemerkt. Ich halte das für möglich. Sofern der Täter aus dem Künstlerumfeld stammt, kann er es irgendwann zurückgelegt haben.«
»Diese Dannen. Nada. Ja.«
Judith schüttelt den Kopf. Autsch. Noch ein Fehler. Das Bonbon brennt in ihrem überreizten Magen. »Ich denke eher, es war einer von Nadas Liebhabern. Paul Klett. Eventuell Alexander Nolden.«
Oder Gero Sanders, überlegt sie einmal mehr. Zweimal hat sie ihn an diesem Wochenende vernommen. Gründlich. Im Gegensatz zu den beiden anderen Männern kann der Journalist für die Tatzeiten Alibis vorweisen, die mehrere AuÃenstehende bestätigt haben. Natürlich hat Judith auch ihn nach einem dunklen Mantel gefragt. Ich bin kein Manteltyp, hat er geantwortet. Ich trage Parkas und hin und wieder eine Lederjacke. Sie hat ihm geglaubt, ihr Gefühl sagt, dass er nicht lügt, doch wie verlässlich ist das? Im letzten Sommer hat sie die Verliebtheit zu einem Mann beinahe umgebracht, die Blindheit, die daraus resultiert. Warum denkt sie jetzt ausgerechnet daran? Weil sie sich von Gero Sanders angezogen fühlt. Sie mag seine Stimme, seine direkte Art, sogar sein hartnäckiges Werben um sie. Hör auf Judith,
stop it,
sofort, du hast schon Probleme genug.
»Klett und Nolden besitzen dunkle Wollmäntel.«
»Die Faserproben, die du mir gegeben hast, sind negativ, Judith. Keine Ãbereinstimmung mit denen von Bergers Sweatshirt, tut mir leid«, sagt Karin Munzinger.
»Das muss nichts heiÃen.« Der Kopfschmerz kommt jetzt in Wellen, das Erstaunliche ist, dass sie sich daran zu gewöhnen beginnt. »Es war nur ein Versuch«, erklärt Judith. »Beide Mäntel weisen keine sichtbaren Blutspuren auf. Wahrscheinlich hat der Täter die Kleidungsstücke, die er während der Tat getragen hat, längst entsorgt.«
»Oder die Täterin«, ergänzt Kühn. »Nada nämlich.«
»Wir haben keine passenden
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