Nacht ohne Schatten
da hin, schau dich um, dich kennen sie nicht. Bring eines der Mädchen zum Reden, das ist angesagt.
Reden, na klar, nichts leichter als das. Manni wünscht aufeinmal, die Krieger wäre da, denkt daran, wie sie im Sommer den geschundenen Jungen beruhigt hat und neulich in den stinkenden Katakomben die durchgeknallte Pennerin. Aber natürlich würde seine Kollegin niemals bis hierher vordringen, es sei denn, sie wäre als Nutte getarnt. Manni hat eine blitzartige, wilde Vision, wie die Krieger in schwarzen Lackstiefeln und Miniaturbikini Kunden umgarnt, und muss unwillkürlich grinsen. Ausgeschlossen. Dem ersten Grabscher würde sie dermaÃen in die Eier treten, dass der für den Rest seines Lebens bei den Wiener Sängerknaben Solo singen könnte.
»Fickificki.«
Das Mädchen scheint Mannis Mienenspiel als Aufforderung zu verstehen, zur Sache zu kommen, und beginnt an ihrem BH rumzufummeln. Sie spreizt die dünnen Beine. Ihr Höschen hat einen Schlitz im Schritt, sie ist rasiert, wie es der aktuellen Mode im Milieu entspricht, und nicht nur dort, wie Manni aus den Umkleidekabinen des Karatecenters weiÃ. Sogar Männer stehen neuerdings auf Intimrasur, was er nun wirklich nicht verstehen kann. Auf der rechten Brust des Mädchens prangt ein handtellergroÃer blauer Fleck. Himmelherrgottnocheinmal. Eine verlotterte Alte, ein misshandelter, schockstarrer Teenager, alle reden vom Ficken, wenn sie ihn sehen, was ist eigentlich los? Manni lehnt sich vor, ganz vorsichtig, um die Kleine nicht noch mehr zu verschrecken, ergreift ihre Hand, zieht sie weg vom BH. Eine sehr schmale Hand. Ganz kalt, schweiÃnass und starr.
»Ich will dir nichts tun. Ich will mit dir reden.«
»Fickificki.«
Er lässt die Hand wieder los, weil die Berührung das Mädchen noch mehr zu ängstigen scheint. Sie zieht die Hand ein kleines bisschen zu sich, lässt sie dann einfach auf dem Satin liegen, wie einen fremden Gegenstand, und sieht zu dem Spiegel an der Zimmerdecke hoch. Ist der etwa für Spanner, gibt es hier Ãberwachungskameras? Manni steht auf, scannt den Raum, so gut es ihm möglich ist. Das Mädchen verharrtbewegungslos mit angewinkelten Beinen. Er denkt an Sonja. Ihre Lebendigkeit. Wie sie ihn umarmt, sich an ihn presst oder ihn in die Rippen boxt und wegschiebt, je nachdem, wie ihr gerade ist.
»Nix fickificki. Reden.« Er muss es einfach riskieren, hofft inständig, dass er das Mädchen dadurch nicht in Schwierigkeiten bringt, schwört sich, sie später hier rauszuholen.
Er setzt sich wieder auf die Bettkante, zieht seine unter dem Handtuch festgeklemmte Brieftasche hervor, schiebt dem Mädchen einen 50 -Euro-Schein in die kalte Hand, hält ihr Swetlanas Foto hin.
»Reden! Ich will wissen, ob du die kennst.«
Er fügt noch einen Schein hinzu, stupst das Mädchen an, was endlich dazu führt, dass sie den Kopf dreht und das Foto betrachtet. Manni sieht augenblicklich, dass sie Swetlana erkennt. Erfolg, ja verdammt, wenigstens einen winzigen Fortschritt, den hat er sich wirklich verdient. Sie heiÃt Swetlana. Er überlegt, ob er das sagen soll, aber der winzige Funken Leben in den Augen des Mädchens, den er gerade noch zu sehen glaubte, ist schon wieder erloschen.
»Njet«, flüstert sie.
Montag, 16. Januar
Judiths Kopf dröhnt, ihre Zunge fühlt sich an wie Sandpapier, jede noch so kleine Bewegung, jedes Geräusch produziert eine Kaskade von Schmerzen hinter ihrer Stirn. Sie trinkt einen Schluck Mineralwasser. Keine gute Idee. Ihr Magen revoltiert, sie kann förmlich fühlen, wie die Kohlensäure die Aspirintabletten aufschäumt, aus ihrem Magen presst, die Speiseröhre rauf, in den Mund.
»âtschuldigung.« Sie hastet aus dem Konferenzraum, schafft es gerade noch bis zur Toilette. Guten Morgen, Montagmorgen. Es ist sieben Uhr, es gibt Millionen Dinge zu tun, und Frau Hauptkommissarin Krieger hängt über der WC-Schüssel und kotzt. Sie kommt mühsam hoch, als der Würgereiz nachlässt, schaufelt sich am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht. Fast das ganze Wochenende hat sie mit Vernehmungen verbracht und damit, nochmals alle Akten zu lesen, ein Ausbund an Disziplin. Gestern Abend hat sie sich dann mit Cora zum Essen getroffen, um das Ende der Eiszeit zu feiern, das sie mit ihrer Aussprache am Freitag eingeläutet hatten. Und dann haben sie nach dem Aperitif-Sekt noch eine Flasche
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