Nacht ohne Schatten
Wettkampf, und das ist ein Fehler.«
»Okay, reden wir, klar. Wo bist du dran?« Manni angelt nach seinen Fishermanâs. Bitte jetzt um Himmels willen nicht auch noch ein Psychogespräch.
»Ich frage mich die ganze Zeit, was für Daten auf Nadas Kamera und Computer waren, dass der Täter vor dem Brand noch die Speicher entfernte.«
»Ich denke, sie hat die Kunden der Pizzeria fotografiert, sie muss diese Fotos ja nicht von ihrem Atelier aus gemacht haben.«
Die Krieger vergräbt das Gesicht in den Händen, und einen Moment lang befürchtet Manni, dass sie anfängt zu heulen. Doch das ist unbegründet, natürlich, sie ist so stur wie eh und je, blickt wieder auf.
»Vielleicht war auch einfach nur ihr Liebhaber drauf. Vielleicht ist sie ermordet worden, und das hat überhaupt nichts mit den anderen Verbrechen zu tun. Eifersucht und Besitzenwollen sind sehr starke Motive. Die ersten zwei Jahre nach einer Trennung von einem Mann, der sie misshandelt hat, sind die gefährlichsten im Leben einer Frau.«
»Ich glaube nicht an Zufall. Und wir haben es hier auch nicht mit einer Privatfehde zu tun, sondern mit einem äuÃerst brutalen Killer, der mehrere Menschen ermordet hat.«
Sie schüttelt den Kopf. »Wenn wir die Pizzeria rauslassen, haben wir es nicht mit einem Profi zu tun.«
ScheiÃe, verdammte, jetzt sind sie doch wieder mittendrin.
»Judith, komm schon. Im Zentrum steht Swetlana, das, was ihr geschehen ist. Es geht hier um weit mehr als um ein Beziehungsdelikt.«
»Es geht um Gewalt gegen Frauen. Ob in sogenannten Beziehungstaten oder in der Prostitution.« Der Blick der Krieger ist so intensiv, dass Manni sich fühlt wie unter einem Mikroskop.
»Du willst doch nicht im Ernst die Niedertracht von Menschenhändlern, die blutjunge Mädchen auf den Strich zwingen und verkaufen wie Vieh, mit einem aus dem Ruder laufenden Beziehungsstreit gleichsetzen?«
»In gewisser Weise schon. Weil es in beiden Fällen Männer sind, die Frauen mit brutaler Gewalt ihren Willen aufzwingen.«
»Eine Ehefrau oder Freundin ist ein freier Mensch. Sie kann gehen.«
Die Krieger schüttelt den Kopf. »Ich hab während des Studiums in einem Frauenhaus gearbeitet, da hab ich was ganz anderes gesehen. Frauen nämlich, die von der jahrelangen Gewalt so zermürbt sind, dass sie nicht mal mehr genug Selbstbewusstsein haben, um zu kapieren: Es ist nicht okay, wenn der Mann, der sie angeblich liebt, sie bei jedem noch so kleinen Anlass schlägt. Frauen, die erst wieder lernen müssen, dass sie Rechte haben. Menschenrechte.«
»Es gibt Puffmütter, Menschenhändlerinnen, Schlepperinnen. Herrgott, es gibt sogar Frauen, die ihre Männer schlagen.«
»Ja, das weià ich. Aber statistisch gesehen kannst du die vernachlässigen. Und was deine Zuhälterinnen angeht: Meist waren sie früher selber Opfer.«
»Hör doch mal auf mit der Opfernummer, du bist doch sonst immer so für Emanzipation! Ja, es gibt Opfer, das bestreite ich nicht. Aber diese Nada ist selbstbewusst, erfolgreich, sie hat Kohle, das sagst du selbst. Sie hat absolut freiwillig als Callgirl gearbeitet, tut es vielleicht noch.«
Judith Krieger steht auf, geht zur Tür. Schwerfällig. Resigniert. Er lässt sie gehen, wortlos, denkt an seine Mutter, die seinen Vater nicht liebte und ihn trotzdem nicht verlassenhat. Denkt an Sonja, die sagt, dass es schön ist mit ihm, und trotzdem geht. Im Karate ist ein Gegner jemand, den man respektiert. Man verneigt sich vor ihm, vor dem Kampf und nach dem Kampf, selbst dann, wenn er einen umgehauen hat. Man steht wieder auf, trainiert für die nächste Runde und hofft, dass man die gewinnen wird. Als Polizist lernt man, dass Gegner sich nicht an die Regeln halten. Man verneigt sich nicht mehr, verletzt selbst manchmal Regeln und kommt auch damit klar. Doch was ist, wenn plötzlich jemand zum Gegner wird, den man überhaupt nicht als Gegner betrachtet, weil man ihn liebt?
* * *
Judith zwingt sich, ein trockenes Brötchen zu essen und schwarzen Tee zu trinken, bevor sie die nächste Aspirintablette schluckt. Der Schmerz hinter ihrer Stirn ist jetzt dumpfer, so dass sie die Müdigkeit wieder spürt. Müdigkeit, Erschöpfung, Frustration. Es ist, als würde sie nach all den Jahren im KK 11 auf einmal eine fremde Sprache sprechen, eine Sprache, die sie von Manni und den anderen
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