Nacht ohne Schatten
Kollegen isoliert. Frauen, Männer, der freie Wille, darum geht es eigentlich. Es gibt keinen freien Willen in einem Herrschaftssystem, würde Cora sagen. Man befolgt die Erwartungen, ohne dass jemand sie aussprechen muss, weil man gefallen will, nach Anerkennung lechzt, den Regeln gehorcht, die das System etabliert. Und diese Regeln lassen die Männer gewinnen, immer noch, so ist das. Auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt. Kaum jemand hat die Kraft, sich dem zu widersetzen.
Judith starrt auf das Polizeilogo, das als Bildschirmschoner über ihren Monitor huscht. Sie hat Männer in ihr Bett und ihr Leben geholt und sich wieder von ihnen getrennt. Sie wollte Rechtsanwältin werden, hat sich dann für eine Karriere bei der Polizei entschieden. Es war hart, sie war oft allein, aber sie hat es geschafft. Sie geht jetzt bei diesen Ermittlungen ihren eigenen Weg. Aus freien Stücken? Ja, natürlich, zumindest istsie davon überzeugt. Warum bezweifelt sie dann, dass es Frauen gibt, die bewusst und freiwillig ein Leben als Prostituierte wählen oder als Zuhälterin? Hat Manni recht und sie macht es sich zu leicht, wenn sie in ihnen nichts anderes als Opfer sieht?
Durch die Aufmerksamkeit der Kunden fühlen sich unsere Mädchen attraktiv, hat die Callgirl-Chefin Nicola Struwe behauptet und so weibliches Selbstbewusstsein wie eh und je als Resultat der erfolgreichen Erfüllung männlicher Wünsche definiert. Wünsche, die seit der sogenannten sexuellen Revolution der 68 er, der Erfindung der Antibabypille und erst recht mit der Legalisierung von Prostitution in Deutschland immer massiver von pornografischen Bildern bestimmt werden. Was für Frauen â und zunehmend auch für Männer â bedeutet, jederzeit sexy sein zu müssen, bereit. Und wer das kritisiert, gilt als prüde, passt nicht in eine Gesellschaft, die Lust zur Norm erhoben hat, als sei Erotik Hochleistungssport, den man genauso routiniert und gefühllos zu absolvieren hat wie Facelifting, Fitnesstraining und Diäten.
Und weiter, Judith, und weiter? Was heiÃt das für diese Ermittlungen, was sagt das über Nada, von der du glaubst, sie sei tot? Sie blättert ein weiteres Mal durch die Kataloge, die Nadas Galeristin ihr überlassen hat, studiert die Ausschnitte der Performances, die die Künstlerin mal als eine Art Lara Croft, dann asexuell, dann beinahe kindlich zeigen. Sie geht ins Internet, studiert Nadas Website, findet jedoch weder dort noch an anderen Stellen etwas anderes als lobende Erwähnungen und Fachartikel über Nadas Kunst. Ãhnlich sieht es mit Paul Klett aus, wenn er auch längst nicht so populär ist, selbst über Alexander Nolden, der als Bankvorstand und Kulturförderer ja durchaus im Licht der Ãffentlichkeit steht, entdeckt Judith nichts, was ihn in irgendeiner Weise diskreditiert oder gar verdächtig macht.
Der Anfänger steckt den Kopf zu Judiths Tür herein, gerade als sie überlegt, ob sie ihrem ramponierten Körper wohl eineDosis Nikotin zumuten kann. »Dein Gefühl war richtig, das mit den Autos ist tatsächlich interessant!«
»Ja?« Judith winkt ihn herein, plötzlich hellwach.
»Paul Klett ist Mitglied bei einem Carsharing-Unternehmen. Er hat in der letzten Woche mehrmals einen Lieferwagen ausgeliehen, angeblich um Bilder, Getränke und Stühle für die Gala zu transportieren.«
»Ach.«
»Sanders fährt Fahrrad und hat in der letzten Woche bei keiner der bekannten Kölner Autovermietungen einen Wagen geliehen. Auf Alexander Nolden ist nur ein Peugeot Cabrio zugelassen, ein typisches Frauenauto, unpassend für einen Bankvorstand, deshalb hab ich nachgefragt.«
»Und?«
»Das Cabrio fährt tatsächlich seine Frau. Nolden selbst hat einen Dienstwagen, einen Mercedes 500 , der ihm jedoch am vergangenen Montag gestohlen wurde, sagt er.«
»Du bist klasse, hab ich dir das schon mal gesagt?«
Ralf Meuser errötet, grinst.
Judith steht auf.
»Wir brauchen die Autos so schnell wie möglich, die KTU soll sie untersuchen, Blut, Fasern und so weiter, komm.«
Sie hat Glück, Axel Millstätt ist in seinem Büro. Er mustert Judith mit unergründlichem Blick, hört sich an, was sie zu sagen hat, schüttelt den Kopf.
»Was du hast, reicht nicht für einen Durchsuchungsbeschluss. Weis mir zweifelsfrei nach, mit wem dieser eskalierte Streit im Atelier
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