Nacht ohne Schatten
Injektionskatheter. Die Finger der rechten Hand sind leicht gekrümmt, als versuche die Patientin nach etwas zu greifen. Vorsichtigöffnet Ekaterina sie und erkennt augenblicklich die für Zigarettenbrandwunden typischen kreisrunden Narben. Sie legt die Hand wieder aufs Laken, schlägt die Bettdecke zurück, schiebt das Nachthemd hoch. Die Brüste sind klein, der Bauch knabenhaft flach, das Schamhaar ist zu einem schmalen Strich rasiert, links und rechts stechen die nachwachsenden Härchen unschön durch die sahnige Haut. Die Beine sind schlank, auch hier zeigen Haarstoppeln, dass die Frau sie rasiert.
Die Hämatome an den Innenseiten der Oberschenkel sind schon beinahe nicht mehr zu sehen. Ein kalter Schauer kriecht über Ekaterinas Rücken. Das ist nichts Spezifisches, was auf einen bestimmten Täter hinweisen muss, sagt sie sich. Das hat nichts mit dieser Ines zu tun. Sie fühlt den Blick der Kommissarin auf sich. Wachsam. Misstrauisch. Ekaterina dreht die Patientin auf die Seite. Diesmal wird sie nichts übersehen. Diesmal nicht.
* * *
Die S-Bahn-Haltestelle Gewerbepark sieht bei Tageslicht tatsächlich noch trübseliger aus als in der Nacht. Eine Rentnerin bemüht sich, einen steifbeinigen Pudel zum Treppenaufgang zu zerren, dessen Fell an einen mottenzerfressenen Flokatiteppich erinnert. Unbeeindruckt von der Machtdemonstration seiner Herrin macht das Vieh den Hals lang und schifft ausgiebig gegen die Betonwand. Manni angelt ein Fishermanâs aus der Jackentasche und zerkaut es nachdenklich, während er das Szenario auf sich wirken lässt. Ein wirklich hübsches Fleckchen Köln ist das. Und natürlich muss es jetzt, wo der nächste Outdooreinsatz bevorsteht, einmal mehr aus vollen Eimern kübeln.
Judith Krieger wartet bereits auf einer Bank im überdachten Teil der Haltestelle. Sie raucht eine ihrer unvermeidlichen Zigaretten und trinkt Kaffee aus einem Pappbecher. Ein laubfroschgrünes Regencape, das exakt wie das von Karl-Heinz Müller aussieht, liegt neben ihr.
»Hey«, sagt Manni, »hast du dir schon mal ân Fallschirm gekauft?«
»Sehr witzig.« Sie schieÃt ihm einen ihrer Bis-hierhin-und- nicht-weiter-Blicke zu und knüllt das Cape zusammen, um Manni Platz zu machen, aber er zieht es nach der ganzen Sitzerei in Konferenzen und Archiven vor zu stehen. Von den Polizeimeistern, die sie beim erneuten Filzen des Terrains nach dem möglichen Unterschlupf eines Obdachlosen und dessen Fluchtweg unterstützen sollen, ist noch nichts zu sehen.
»Die Russin gefällt mir nicht.« Judith Krieger nippt an ihrem Kaffee.
»Wieso? Sie macht doch was aus ihrem Typ.« Manni grinst.
»Wie die mich angeguckt hat, als ich vor ihrer Untersuchung ein paar beruhigende Sätze zu unserer Komapatientin gesagt habe. Als sei jedes freundliche Wort ein Wort zu viel.«
Manni senkt seinen Blick demonstrativ auf das Regencape. »Dein Müller steht aber auf sie.«
»Er ist nicht âºmein Müllerâ¹.«
»Nein? Ist er eigentlich schwul?«
»Nicht jeder Mann in meiner Umgebung, mit dem ich kein Verhältnis habe, ist deshalb gleich homosexuell.«
»Weià ich.« Manni zwinkert aus der vollen Höhe seiner 1,85 Meter auf die Krieger herunter.
Sie verdreht nur die Augen, unterdrückt ein Grinsen. Schweigen konnte sie schon immer gut. Nicht nur bei Vernehmungen ist das eine ihrer stärksten Waffen.
»In der Kartei von der Sitte ist unser Kellermädchen jedenfalls nicht registriert«, sagt Manni, als ihm die Kriegerâsche Stille zu ungemütlich wird. »Und als vermisst ist sie auch nirgendwo gemeldet.«
»Das muss nichts bedeuten.« Seine Kollegin tritt ihre Zigarette aus und beginnt augenblicklich, eine ihrer Haarsträhnen mit dem Zeigefinger zu traktieren. »Sie kann neu sein im Geschäft. Oder sie ist einfach noch bei keiner Razzia aufgefallen.«
»Prostitution ist seit 2002 nicht mehr strafbar. Sie schafft an, unser Luigi, Gott hab ihn selig, stellt ihr dafür seinen Keller zur Verfügung, das ist völlig legal.«
»Ja, ja, weià ich alles. Auf Neudeutsch heiÃt Prostitution
sexuelle Dienstleistung,
und die Freier sind Kunden und Zuhälter Unternehmer, und alles ist ganz toll. Die Prostituierten zahlen Steuern und können sich krankenversichern, sogar eine Ich-AG können sie theoretisch gründen und sich von Vater Staat für den Verkauf
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