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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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er euch gesehen?«
    Â»Er ist da rein, als wir ihn entdeckt haben. Sieht aus, als ob er sich da vor uns verstecken will. Wir haben ihn aufgefordert rauszukommen.« Die Krieger wischt sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Nichts. Keine Reaktion.«
    Manni greift nach seiner Walther. »Also, gehen wir rein.«
    Wie ein Mann bewegen sie sich auf die Öffnung zu, Manni und ein weiterer Polizeimeister mit gezogener Waffe. Ein dritter Kollege leuchtet ihnen. Manni spürt jemanden in seinem Rücken. Die Krieger? Noch einen Polizeimeister? Es ist ihm egal, seine Aufmerksamkeit ist nach vorne gerichtet.
    Ein Güterzug donnert über ihre Köpfe, als sie die Öffnung betreten. Das Mauerwerk zittert, brüllt, verhindert jede Kommunikation. Dunkle Feuchtigkeit umgibt sie. Unrat liegt auf dem Boden. Exkremente. Schritt für Schritt tasten sie sich weitervor. Angespannt, jeder noch so kleine Fehler kann tödlich sein. Kann es tatsächlich sein, dass hier jemand lebt? Es kann nicht sein, denkt Manni und weiß aus Erfahrung, dass das trotzdem möglich ist.
    Im nächsten Moment hört er die Stimme. Tief, verzerrt, seltsam entmenschlicht. Ein monotones Leiern.
    Â»Ficken. Blasen. Lecken. Ich fick euch alle, ich leck euch, ich …«
    Der Lichtkegel des Kollegen irrt über die Wände, ortet die Sprecherin, heftet sich an sie. Die Frau kniet auf einem Matratzenlager und wiegt sich im Rhythmus ihrer Worte hin und her. Eine Pennerin, ganz unverkennbar. Ihr Haar ist strähnig, ihr plumper, ältlicher Körper ist in Lagen von Lumpen gehüllt. Manni lässt die Waffe sinken.
    Â»Kriminalpolizei, Personenkontrolle. Können Sie sich ausweisen?«
    Sie lächelt zahnlos, die Augen wirr, hört nicht auf, sich im Takt ihrer Worte zu wiegen. »Ficken. Blasen. Lecken …«
    Â»Kriminalpolizei, beantworten Sie meine Frage!«
    Nichts. Keine Reaktion. Nur der fischige Geruch ihres Körpers scheint intensiver zu werden.
    Â»Zugriff?«, fragt einer der Polizeimeister.
    Â»Nein, wartet.« Bevor Manni etwas entschieden hat oder auch nur antworten kann, drängt sich die Krieger nach vorn und geht vor der Pennerin in die Hocke.
    Â»Hallo, können Sie mich verstehen?«
    Eine Weile lang wiegt sich die Pennerin noch weiter, dann hält sie abrupt inne und zeigt auf Manni.
    Â»Der will nicht mit mir ficken!«, sagt sie in einem Tonfall, der irgendwo zwischen Anklage und Staunen liegt.
    Â»Mit mir fickt er auch nicht«, sagt Judith Krieger trocken. »Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Ich möchte mit Ihnen reden.«
    * * *
    Kommunizieren, denkt Judith. Fragen stellen und Antworten bekommen, die verständlich sind und sich auf die Fragen beziehen. Frage. Antwort. Wie einfach das klingt. Dabei ist das kein bisschen selbstverständlich, weil es, je nachdem in welcher Wirklichkeit wir leben, zu viele unüberbrückbare Differenzen gibt. Die Frau aus den Bahnkatakomben sitzt Judith gegenüber wie erstarrt, die Arme vor der Brust verschränkt. Nur ihr Blick, der durchs Vernehmungszimmer flattert, verrät, dass sie keinesfalls freiwillig im Polizeipräsidium ist. Anfangs hatte Judith gehofft, sie mit Argumenten und guten Worten zum Mitkommen überreden zu können. Schließlich hat sie aufgegeben und sie den routinierten Griffen der Polizeimeister überlassen, was eine weitere Kanonade von Schmähungen nach sich zog. Ficken. Blasen. Blöde Nutte.
    Judith schiebt einen Pappbecher Kaffee, Orangensaft, ein Salamibaguette und ein Stück Käsekuchen über den Tisch zu der Obdachlosen hinüber.
    Â»Hier, für Sie. Abendessen.«
    Â»Schlampe!« Der Blick der Frau huscht über Judiths Ausbeute aus der Polizeikantine. Sie ist wahnsinnig, denkt Judith. Verrückt geworden vom Leben. Vielleicht eine Zeugin, aber sicherlich keine Doppelmörderin, die die Fähigkeit hätte, einen Mann zu erstechen, in eine Pizzeria einzubrechen, den Inhaber ans Bett zu fesseln, alles in Brand zu setzen und unbemerkt zu verschwinden. Oder täusche ich mich?
    Â»Essen Sie.«
    Die Frau beginnt sich wieder zu wiegen. »Alte Vettel.«
    Judith steht auf, rastlos und zugleich erschöpft. Wie soll sie brauchbare Aussagen bekommen, wenn sie nicht einmal sicher sein kann, ob die Obdachlose sie überhaupt versteht?
    Â»Kommst du mal?« Manni streckt den Kopf zur Tür herein. Manni, mit dem die Kommunikation aus irgendeinem

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