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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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aus ihr herauszukriegen ist.
    * * *
    Ekaterina Petrowa liegt bis zum Hals in Maiglöckchenbadeschaum und löffelt Eiscreme direkt aus der Packung. Kerzen flackern auf dem Wannenrand, über dem Heizkörper hängen ihr Nachthemd und der rosafarbene Bademantel mit der Silberblumenstickerei bereit. Sie vergegenwärtigt sich die Beschaffenheit von Messern, während sie das kühle, sahnige Eis auf der Zunge zergehen lässt. Cremebirne, wirklich eine hervorragende Wahl. Eis in der Badewanne ist eine ihrer deutschen Angewohnheiten, eine geheime Leidenschaft, die sie normalerweise alle Sorgen des Tages vergessen lässt. Doch heute Abend wird sie ihre Grübeleien über den Obduktionsbericht Wolfgang Bergers nicht los. Fleischermesser, Fahrtenmesser, Küchenmesser tanzen vor ihren Augen. Sie weiß, dass jeder fachgerechte Nutzer auf die einzigartigen Vorteile des Messers seiner Wahl schwört. Doch wenn es ums Töten geht, muss eine Klinge nur scharf genug sein, um beinahe mühelos ins Fleisch zu dringen, und die Spuren, die dies hinterlässt, sind so gut wie niemals spezifisch genug, um die Tatwaffe exakt zu beschreiben.
    Ekaterina rutscht noch etwas tiefer in die Wanne, versucht sich auf die Musik von Tatjana und Sergej Nikitin zu konzentrieren, die aus dem Wohnzimmer herüberklingt. Sie hat die CD bei ihrem letzten Besuch in Nikel auf dem Markt gekauft.
    Musik, die in der UdSSR streng verboten war, weil sie von Freiheit kündete, so hoffnungsvoll und heiter, wie es in russischen Liedern eben geht. Ekaterina schließt die Augen und summt leise mit. Sie denkt an ihre Großmutter dabei, die Kate, in der es nicht einmal einen Kühlschrank gab, die Banjarituale unten am See. Es war in Ordnung damals, sie hat es nicht anders gekannt. Klopfte der Großmutter am Waschtag mit nassem Birkenreisig den Rücken rot, wälzte sich im Schnee, begleitet vom Gelächter und Getratsche der anderen Frauen. Es war ganz selbstverständlich, sich mit ihnen die Banja zu teilen, die Männer hatten ihre eigenen Rituale. Trotz dieser Geschlechtertrennung in Sachen Körperhygiene wäre niemand auf die Idee gekommen, von einer examinierten Ärztin automatisch zu erwarten, sich besser mit Frauen auszukennen als ein männlicher Kollege.
    Ekaterina wäscht sich die bröckelig gewordene Vitaminmaske vom Gesicht, klettert aus der Wanne und trocknet sich ab. Sie hat keine Lust mehr zu baden, sie fühlt sich rastlos. Es ist das Projekt, denkt sie wütend. All diese Ansprüche und Erwartungen, die sich nicht greifen lassen. All die Erinnerungen, die es heraufbeschwört. Sie cremt sich ein, zieht den Bademantel über. Warum kann sie sich nicht entspannen? Sie hat an diesem Wochenende alle Untersuchungen fachgerecht ausgeführt und dokumentiert. Sogar von zu Hause aus hat sie noch versucht, die Kommissarin Krieger telefonisch zu erreichen, um sie über das vorläufige Ergebnis in Sachen Komapatientin zu informieren. Nicht ihr Problem, wenn die schon Feierabend gemacht hat. Oder doch? Einmal noch, beschließt sie und drückt auf Wiederwahl.
    Â»Ich war bis eben in einer Vernehmung.« Die Stimme Judith Kriegers ist kühl. Zwangsprostitution – ich will einen Beweis dafür, hat sie am Nachmittag im Krankenhaus gefordert. Ekaterina hat ihr die Hämatome auf den Oberschenkeln der Komapatientin gezeigt und die Brandwunden in der Handfläche. Das ist aber kein Beweis, hat sie erklärt, auch wenn der Kommissarin das überhaupt nicht gefiel.
    Â»Es gibt keine weiteren Spuren von Misshandlungen«, sagt Ekaterina jetzt.
    Â»Sicher?«
    Â»Ich habe diese Patientin sehr gründlich untersucht.«
    Die Kommissarin schweigt. Ekaterina glaubt zu hören, wie sie Zigarettenrauch in den Hörer atmet.
    Â»Die Hämatome an den Oberschenkeln können von einer Vergewaltigung stammen oder einfach nur die Folge eines etwas heftigeren Liebesakts sein. Die Brandwunden kann sie sich durchaus selbst zugefügt haben. Borderline, Sie wissen schon.«
    Â»Weiß ich, ja.«
    Â»Ich habe einen Vaginalabstrich ans Labor geschickt. Morgen früh erhalte ich vom Krankenhaus Einblick in die Röntgenaufnahmen, und vielleicht gibt es alte Knochenbrüche, die uns weiterbringen. Versprechen Sie sich aber nicht zu viel davon.«
    Â»Wenn wir wenigstens wüssten, wer sie ist.« Die Kommissarin spricht jetzt leiser, beinahe wie zu sich selbst, und vielleicht ist

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