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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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bekommst du morgen«, sagt sie, »tut mir leid, durch die Party hab ich vergessen, zum Geldautomat zu gehen.«
    Fast sieht es so aus, als zögere er, dann lässt er das Geld doch in seiner Hosentasche verschwinden.
    Â»Du sagst doch, wenn du Hilfe brauchst, Thea?«
    Die Worte verstärken den Druck auf Theas Hals. So hat Paul früher mit ihr gesprochen, und es hat ein paar Jahre gedauert, bis sie verstand, dass das nur eine Masche ist, um Menschen für sich zu gewinnen. Sie strafft die Schultern und schluckt hart. Neidzerfressene, klimakterische Kuh. Du selbst hast Paul nicht mehr gewollt, ihn nicht und sein Gerede von Marketing und Image, das jede ernsthafte Hingabe an die Kunst ad absurdum führt, erst recht nicht. Du selbst hast dir auch schon mal andere Liebhaber ins Bett geholt. Also beschwer dich nicht, wenn er jetzt ebenfalls eine andere hat, auch dann nicht, wenn es sich bei ihr um deine eigene Entdeckung handelt, deinen Schützling. Und hör endlich auf, ihr zu neiden, dass sie jünger ist als du, sehr viel jünger und so erfolgreich, wie du in diesem Leben nie mehr werden wirst.
    Thea hinkt zurück zu ihrem Sandsteinblock, fährt mit der Hand über die raue, staubige Oberfläche, fühlt, wie sich die Kraft des Steins auf sie überträgt.
    Â»Wo ist Nada eigentlich?«, fragt sie. »Doch nicht etwa unterwegs mit einem Mäzen?«
    Â»Du weißt doch, wie sie ist.« Jetzt ist die Wärme aus Pauls Stimme verschwunden.
    Thea unterdrückt ein Lächeln. »Nicht so gut wie du.«
    Â»Nada arbeitet. Sie muss sich konzentrieren. Allein.«
    Â»Du weißt nicht, wo sie ist.«
    Pauls granitgraue Augen bohren sich in Theas. »Und du? Was weißt du?«
    Sie schüttelt den Kopf, zerrt sich die Schutzbrille wieder vors Gesicht, greift nach der Schleifmaschine.
    Er springt auf den Boden, baut sich vor ihr auf. »Du bist eifersüchtig. Immer noch.«
    Â»Ich muss arbeiten, Paul. Lass mich in Ruhe.«
    * * *
    Es grenzt an ein Wunder, im Belgischen Viertel einen Parkplatz zu ergattern, doch Judith hat tatsächlich Glück und kann ihre Ente in eine Lücke direkt vor dem Restaurant manövrieren, in dem sie mit ihrem Bruder verabredet ist. Sie stellt den Motor ab, hört noch die letzten Takte Manfred Mann. Sie hat keine Lust auf dieses Abendessen, zu dem ihr Bruder sie mit seinem völlig überraschenden Anruf eingeladen hat, aber er ist so gut wie nie in Köln, und es ist über ein Jahr her, dass sie ihn oder ein anderes Familienmitglied zuletzt gesehen hat. Sie schließt für einen Moment die Augen.
You told me you were gonna win,
singen Manfred Mann, doch das erscheint ebenso falsch wie Patti Smith’ Hommage an Nächte voller Liebe und Leidenschaft. Judith schaltet die Musikanlage aus. Schemen, Aussagen, Bilder, Fragen schwirren durch ihren Kopf, wild durcheinander, ohne Struktur. 23 437 Euro heißt das letzte Puzzlesteinchen, das sich zu diesem Chaos gesellt hat. 23 437 Euro, die der S-Bahn-Fahrer Wolfgang Berger am 5 . Oktober letzten Jahres von seinem Sparkonto abgehoben hat, beinahe sein gesamtes Vermögen. Es war eine Barabhebung, er habe bei der Transaktion sehr entspannt gewirkt, hat der Bankangestellte berichtet, der Berger damals bediente. Doch was der S-Bahn-Fahrer mit dem Geld wollte, behielt er für sich, und nirgends in seiner Wohnung findet sich ein Hinweis darauf.
    Judith verschließt ihr Auto, kauft an einem Kiosk Tabak, Blättchen und Filter und zieht sich in der Spiegelung einesSchaufensters die Lippen nach. Drei Stufen führen zu dem Lokal hinauf, das Ralf Meuser ihr empfohlen hat, weil sie keinerlei Lust auf das sterile Ambiente des Nobelhotels verspürte, in dem ihr Bruder logiert. Schlichte Holzbänke und Tische. Eine Glasvase mit Lilien und ein paar gerahmte Grafiken und historische Landkarten sind der einzige Schmuck im Raum. Die Wand neben der Bar dient als Weinregal. Ein paar Medienleute sitzen an einem Tisch und rauchen, offenbar zu erschöpft von den Anstrengungen des Tages, um noch miteinander zu sprechen. Die Tische sind mit Stoffservietten und weißen Kerzen eingedeckt. Dies ist kein Null-acht-fünfzehn-Lokal. Der verführerische Duft mediterraner Gewürze macht Judith bewusst, wie wenig sie ihren Kollegen Meuser kennt, obwohl er jede Aufgabe, die sie ihm überträgt, prompt und gründlich erledigt. Hätte Manni dieses Restaurant empfohlen? Wohl

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