Nacht ohne Schatten
Beziehungen gehabt zu haben.« Judith spricht schnell weiter, bevor ihr Bruder erneut auf Weihnachten zu sprechen kommen kann. »Allerdings hat ein Kollege ausgesagt, er hätte im Sommer etwas von Heiratsplänen erzählt.«
»Flitterwochen!« Edgar grinst wissend. »Das kann ganz schön teuer werden.«
»Aber man bezahlt nicht vorab alles in bar. Und die Frau, die es angeblich mal gab, kennt auch niemand.«
»Vielleicht ist sie mit dem Geld durchgebrannt.«
»Aber warum hat er sie dann nicht angezeigt?«
»Oder er hat das Geld gar nicht ausgegeben, sondern irgendwogebunkert. Es gibt doch diese Sparstrumpftypen, die glauben, unter ihrer Matratze sei ihr Vermögen am besten aufgehoben.«
Der Rucksack, denkt Judith. Der Rucksack, den wir immer noch nicht gefunden haben. In dem Berger offenbar alles wirklich Wichtige mit sich herumtrug. Handy. Adressbuch. Brieftasche. Und 23 437 Euro? Das ist zwar unwahrscheinlich, wäre aber zumindest endlich ein plausibles Motiv für diesen Mord.
Der Kellner bringt das Dessert für Judiths Bruder und einen Espresso für sie selbst. Erinnerungen erwachen, als sie erneut über ihre Familie sprechen, die ewigen Umzüge, die mit der Karriere Wolfram Kriegers verbunden gewesen waren, die Unterschiede zwischen Köln und Bremen, wo ihre Eltern und auch Edgar seit ein paar Jahren leben. Die alte Einsamkeit meldet sich wieder, das ewige Gefühl, fremd zu sein in ihrer Familie, aber es tut nicht mehr weh, ist eher ein Echo, ein Grundrhythmus von Judiths Identität, anschwellend und abschwellend, wie die Dünung des Meeres.
»Komm, Schwesterherz, gehen wir noch aus«, sagt Edgar, nachdem er die Rechnung beglichen hat. Sie laufen auf die StraÃe, Arm in Arm, plötzlich beschwingt, und gerade als Judith beschlieÃt, ihre Ente stehen zu lassen und mit ihrem Bruder in einer dieser neuen, coolen Bars zu versacken, die überall im Belgischen Viertel aus dem Boden schieÃen, spielt ihr Handy ein weiteres Mal Queen.
»Wir haben einen Obdachlosen, der auf die Beschreibung des Zeugen passt«, sagt der Einsatzleiter und macht damit alle weiteren Ausgehpläne für diesen Abend zunichte. »Er trägt eine Jacke mit Bahn-Emblem. Wir haben ihn am Bahndamm in der Nähe des Amor aufgegriffen.«
»Hat er Bergers Brieftasche? Sein Handy? Oder den Rucksack?« Judith fühlt das vertraute Prickeln im Nacken. Es geht weiter, endlich. Der erste Durchbruch. Sie muss Manni anrufen, sofort. Sie muss eine weitere Gegenüberstellung veranlassen. Sie wirft ihrem Bruder einen entschuldigenden Blick zu.
»Freu dich nicht zu früh«, sagt der Einsatzleiter. »Er leugnet. Und auÃer der Jacke haben wir nichts.«
* * *
Sie liegt auf ihm, bewegt sich sanft, fliegend, kleine flatternde Hüftbewegungen, die ihn aufstöhnen lassen. Manni packt ihre Hüften, will es schneller, will mehr.
»Halt.« Sonja stemmt die Hände auf seine Brust, setzt sich auf, lächelt auf ihn herunter. »Lass uns Zeit.«
Kerzen und Lichterketten überall. Bücher. Ein kugelbäuchiger Buddha lugt aus einer Wandnische aufs Hochbett. Unten, verstreut, die hastig abgestreiften Klamotten, seine Walther und das Handy, das er ausgestellt hat, nachdem seine Mutter zum dritten Mal nervte. Nebenan in der Küche das Essen, zu dem sie nicht gekommen sind, weil der andere Hunger gröÃer war.
Räucherstäbchen, exotisch, womöglich sogar aphrodisisch, verglühen in ihren Haltern, vermischen sich mit Sonjas Parfum. Manni schickt seine Hände über ihren Bauch. Dieses chinesische Schriftzeichen-Tattoo direkt über einer ziemlich heftigen Narbe macht ihn wahnsinnig, vielleicht, weil die Kombination beides zu symbolisieren scheint, Kampfgeist und Verletzlichkeit.
»Blinddarmdurchbruch, war knapp«, erklärt Sonja. »Danach war die Tätowierung irgendwie fällig.«
»Was bedeutet es?«
Sie lächelt. Schweigt. Er umfasst ihre Brüste. Sie schlieÃt die Augen, atmet heftiger, bewegt sich jetzt schneller. Gier, Hunger, Hitze, Lust explodieren irgendwo tief in Mannis Bauch. Dann ist ihr Gesicht wieder nah an seinem, und er nimmt sie fester, härter, und ihre Hände sind überall, auf seinem Gesicht, in seinem Haar, und ihr Geruch und ihr Atem sind süà und fremd und trotzdem vertraut, und er kommt wild und lange und doch viel zu früh, weil es ewig so weitergehen soll mit
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