Nacht ohne Schatten
Scharf, aber nicht zu scharf, und das Grünzeug ist auch nicht ohne, wenn auch sehr fremd. Besänftigt probiert Manni den Inhalt der anderen Schalen, löscht die Schärfe mit WeiÃwein und Brot. Erinnerungen an Sonjas Vorgängerinnen geistern ihm durch den Kopf. Frauen, die in sein Leben traten und wieder gingen, mal langsamer, mal schneller. Frauen, deren Zuneigung ihm gewissermaÃen zugeflogen war, in der Schule, später dann auf den Rheindorfer Schützenfesten, im FuÃballerheim und manchmal in einer Kneipe oder Diskothek. Melanie, die Letzte in dieser Reihe, hatte schon bald von Hochzeit und Kindern gefaselt, und als sie damit anfing, Mannis Mutter allein zu besuchen, wusste Manni, dass es Zeit war zu gehen. Im Sommer darauf war sein Vater gestorben, und auÃer der irrwitzigen und erfolglosen Jagd nach der kühlen Blonden aus dem Maybach-Biergarten ist seitdem nichts mehr gelaufen, kein Wunder, dass er jetzt nicht genug bekommt.
»Ich hab noch frische Ananas zum Nachtisch«, verkündet Sonja mit Hausfrauenstolz.
»Noch so eine Massage wär mir lieber.« Er zieht Sonja auf seinen SchoÃ, lässt sie fühlen, wie er das meint. Sie trägt tatsächlich gar nichts unter dem T-Shirt, was auÃerordentlich praktisch ist, wo sie schon mal auf seinem Schoà sitzt, nur ein Kondom müssen sie noch von nebenan holen, dabei lässt er sie nicht los. Und diesmal hält Manni länger durch, lange genug auch für sie und noch etwas länger. Er hat es noch nie auf einem Stuhl getrieben, aber es geht gut, ausgesprochen gut, geradezu genial, obwohl die Lehne ein klein bisschen in seinen Rücken drückt.
»Ich hoffe, so eine Massage bekommen nicht alle deine Kunden«, sagt er Sonja ins Ohr, als sich ihr Atem langsam beruhigt.
Sie wird ganz steif in seinen Armen, funkelt ihn an. »Idiot!«
»Hey, schon gut, das war ein Scherz.«
»Schon gut?«
»Es war ein Scherz, nur so dahergeredet, nicht ernst gemeint«, sagt Manni und muss auf einmal wieder an das Komamädchen denken und die Männer, die wahrscheinlich in dem Keller ein und aus gingen.
»Ich bin müde«, sagt Sonja. »Ich hab morgen einen anstrengenden Tag.«
Und aus irgendeinem Grund nimmt Manni das zum Anlass, ins Wohnzimmer zu trotten und sich anzuziehen. Erst als er unten auf der StraÃe steht, wird ihm klar, wie blöd das ist, wirklich dämlich und vermutlich das Ende von etwas, das ganz und gar nicht zu Ende gehen soll, jedenfalls nicht schon jetzt. Er macht kehrt, starrt die Klingel an, legt den Finger darauf, drückt dann doch nicht. Ein Mann steht auf der gegenüberliegenden StraÃenseite in einer Einfahrt, weicht zurück, als Manni ihn entdeckt. Wieder betrachtet Manni das Klingelschild. »S. Konrad«. Sonja. Morgen, beschlieÃt er, zieht den ReiÃverschluss seiner Fliegerjacke hoch und stapft in den Regen.
* * *
Es ist ein Déjà -vu. Der Gestank, der Schmutz, der von jahrelangem Alkoholismus gezeichnete Blick: verschwommen und zugleich stierend, rot unterlaufen. Finger so schwarz, dass die Farbe zum Abnehmen der Fingerabdrücke kaum auffällt. Der leiernde Sprachsingsang. Doch der Mann, der Judith im Vernehmungszimmer gegenübersitzt, ist 38 , jünger als die Obdachlose Marianne Dorn, sogar jünger als Judith selbst, und er schreit keine Obszönitäten und scheint durchaus in der Lage zu sein, ihre Fragen zu verstehen. Judith vergewissert sich, dass das Aufnahmegerät funktioniert.
»Sie sind Gregor Schmidt«, beginnt sie das Vernehmungsritual,spult dann die Lebensdaten des Mannes herunter. Geburt in Paderborn. Realschule, Lehre geschmissen, Hilfsarbeiter, irgendwann auf der StraÃe. Paderborn, denkt Judith, während sie die Daten liest. Auch der ermordete S-Bahn-Fahrer stammte dorther. Ist das die Verbindung, die wir suchen? AltersmäÃig könnten sich Schmidt und Berger durchaus von früher her kennen. Wollte der S-Bahn-Fahrer einem alten Kumpel mit seinen Ersparnissen aus der Klemme helfen? Doch warum hätte er das tun sollen? Und selbst wenn, warum hätte Schmidt ihn dann getötet und 24 Stunden später auch Luigi Baldi? Jemanden von hinten zu erstechen ist etwas anderes, als einen Menschen zu fesseln und bei lebendigem Leibe verbrennen zu lassen. Letzteres erfordert mehr Hass, mehr Planung, mehr Kaltblütigkeit. Oder nicht?
Judith lehnt sich zurück, nachdem sie die Formalitäten hinter
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