Nacht ohne Schatten
Kaschmirwolle, um präzise zu sein. Und dazu gibt es keine Entsprechung auf den S-Bahn-Fahrersitzen in den beiden Führerständen.«
»Den dunklen Wollmantel gibt es also«, sinniert die Krieger.
Karin Munzinger steht auf. »Die S-Bahn wechselt am Haltepunkt Gewerbepark die Richtung. Berger steigt aus der vorderenLok aus, verschlieÃt sie und geht an der Bahn entlang zum Triebwagen am entgegengesetzten Zugteil. Es ist ziemlich warm, also trägt er Jacke und Rucksack in der Hand. Kurz bevor er am Ziel ist, kommt unser Täter von hinten.« Sie stellt sich hinter die Krieger, legt ihr die Linke um den Hals und sticht mit dem Zeigefinger der Rechten in ihren Rücken. »Ungefähr so. Und dann noch mal und noch mal und noch mal. Elf Mal, wie wir wissen. Irgendwann beim ersten Angriff taumelt Berger ein oder zwei Schritte vorwärts, ohne den Täter abschütteln zu können.«
Die Krieger befreit sich aus dem Griff der Kriminaltechnikerin. »Was ist mit der Jacke?«
»Die lässt er direkt fallen, als er angegriffen wird.«
»Müsste sie nicht voller Blut sein?«
Karin Munzinger grinst. »Es gibt Blutspuren darauf. Aber nicht sehr viele. Nur ein paar Spritzer. Deshalb bin ich auf die Vorwärtsbewegung gekommen.«
»Gut.«
Die Kriminaltechnikerin legt den Kopf schief. »Sehr glücklich siehst du aber nicht aus.«
»Es passt einfach alles nicht zusammen. Und jetzt sagt die Petrowa auch noch, dass der Täter eine Frau sein kann.«
»Eifersucht, enttäuschte Liebe â¦Â« Karin Munzinger tupft mit dem Zeigefinger ein paar imaginäre Punkte in die Luft. »Vielleicht ist die räumliche und zeitliche Nähe der beiden Verbrechen ja wirklich Zufall.«
»Ich hab eine Hure gefunden, bei der Berger mal war. Sie sagt, er war auf der Suche nach Liebe.« Laut ausgesprochen klingt das völlig idiotisch, wird Manni augenblicklich klar. Er will erklären, was das tschechische Mädchen noch sagte. Dass es Schweine unter ihren Stammkunden gibt, die am liebsten mit Fäkalien spielen. Brutalos, die vor allem demütigen wollen, Normalos, Behinderte und eben ein paar Psychos, die vor Einsamkeit nicht wissen, wohin, und vor allem reden und von Liebe träumen wollen, Liebe, die sie dann doch nicht aushaltenim richtigen Leben. Er will all das erklären, aber das selbstgefällige Lachen der Krieger hält ihn davon ab.
»Liebe, na klar. Deshalb hatte er ja auch diese
Liebes
filme, nicht wahr?«
»Herrgott, Judith, musst du immer gleich die Alice Schwarzer geben? Jetzt hör mir doch erst mal richtig zu.«
»Ich höre.«
»Es kommen nicht nur coole Frauenabzocker ins Bordell. Es kommen auch Behinderte, Alte, Einsame. Das Mädchen, bei dem Berger war, hat sehr überzeugend argumentiert, dass Berger zur letzten Kategorie gehörte. Das kann doch wirklich wichtig sein für unsere Ermittlungen.«
Die Krieger dreht sich eine Zigarette, steckt sie dann aber statt zwischen ihre Lippen brav in die Hosentasche, weil Karin Munzinger warnend mit dem Zeigefinger wackelt.
»Berger war einsam«, bestätigt sie schlieÃlich. »Das wissen wir doch bereits, seine Wohnung und sein Lebensstil legen das ja nahe. Er hat eine Frau gesucht. Im Bordell. Von mir aus. Und weiter?«
»Vielleicht gab es Streit mit einem Zuhälter, dem er das Mädchen ausspannen wollte.«
»Oder mit der Frau selbst«, sagt Karin Munzinger.
»Die Zuhältertheorie ist wahrscheinlicher«, beharrt Manni. »Die erklärt nämlich auch die unterschiedlichen Vorgehensweisen. Der Zuhälter ist stinksauer auf Berger und metzelt ihn nieder. Beim Anschlag auf die Pizzeria ist er dann cooler und holt sich Hilfe.«
Die Krieger runzelt die Stirn. »Das würde voraussetzen, dass unsere Komapatientin Bergers Auserwählte ist. Und Berger selbst ein Gutmensch, nicht ein Typ, der gemeinsam mit Luigi Baldi ins Bordellgeschäft eingestiegen ist, wie unsere Theorie von heute Morgen lautete.«
»Wär doch denkbar. Nicht jeder Mann, der mal in den Puff geht, ist gleich schlecht.«
Die Krieger lässt das so durchgehen, sieht jedoch nicht wirklichüberzeugt aus. »Wenn Berger unsere Komapatientin liebte, warum war sie dann in dem verdammten Keller eingesperrt?«
»Ich weià es nicht. Wir finden das raus.«
»Sie liegt im Sterben«, sagt die Krieger, und diese vier Worte begleiten Manni auf
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