Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
diese Affäre verwickelt ist, Madame?«
    »Ja, selbstverständlich.«
    »Woher wissen Sie das? Kein Presseorgan durfte darüber berichten.«
    Die Dame ist etwas verwirrt durch meine brutale Frage. Einen kurzen Augenblick schaut sie zum Professor hinüber, fängt sich dann aber wieder. Ihre auf einmal glühenden Augen scheinen mich warnen zu wollen.
    »Monsieur Brahim Llob, ich bin Historikerin und Enthüllungsjournalistin. Ich habe Freunde in ganz Algier, und zwar in den verschiedensten Schichten. Meine Informationsquellen sind glaubwürdiger als die Pressemitteilungen, die die Zensur im schönsten Parteichinesisch austüftelt. Ich bin hier, um Ihnen eine Zusammenarbeit anzubieten, nicht um mich als Denunziantin zu betätigen oder meine Zeit zu verlieren. Ich könnte meine Nachforschungen allein fortsetzen, aber leider wird eine Frau in unserer Gesellschaft oft von vornherein für inkompetent gehalten. Und bevor wir uns weiter unterhalten, möchte ich folgendes klarstellen: Entweder Sie akzeptieren mich in Ihrer Mannschaft, oder ich geh nach Hause, und wir haben uns nie gesehen.«
    »Erst möchte ich Genaueres wissen.«
    Sie schwenkt ihren Ordner. »Hier drin ist eine Liste mit Namen, die meine Arbeit als Historikerin und Ihre Ermittlungen zu einem Abschluß bringen könnte. Auf meiner Karteikarte hat der Namenlose einen Namen, einen Vornamen und einen Geburtsort. Der Zufall will es, daß Monsieur Thobane aus demselben Nest stammt. Ich habe Zeugen, die nur darauf warten, auszusagen. Wenn Sie einverstanden sind, einigen wir uns sofort über das weitere Vorgehen und unsere entsprechenden Aufgaben, damit wir Hand in Hand und mit offenen Karten in der Sache recherchieren können. Ansonsten ...«
    Der Professor ist wie versteinert.
    Vermutlich kann ich meine Gefühle genausowenig verbergen.
    »Es ist Ihnen gelungen, den Namenlosen zu identifizieren?« fragt der Professor mit erstickter Stimme.
    »Möglicherweise. Das wird sich jetzt bestätigen oder auch nicht. Ich weiß, daß ich dazu in der Lage bin, aber allein würde das Monate, ja vielleicht Jahre beanspruchen . Zusammen mit Monsieur Brahim Llob und seiner Erfahrung können wir das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist. Er hat einen Lieutenant zu rehabilitieren, und ich habe die Geschichte klarzustellen.«
    Ich betrachte die Glut meiner Zigarette.
    »Am selben Ort geboren zu sein heißt nicht zwangsläufig, dasselbe Schicksal zu teilen«, wende ich ein.
    »Es ist nicht nur das, Kommissar.« Der Professor wirft mir einen bohrenden Blick zu, entrüstet über meine Ausflüchte. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
    Ich tue so, als würde ich nachdenken. In Wirklichkeit weiß ich nicht, wie ich mich entscheiden soll. Die Dame scheint sich ihrer Sache sicher zu sein. Die Art und Weise, wie sie ihren Aktenordner an sich drückt, zeugt von unerschütterlichem Selbstbewußtsein. Vielleicht ist es ja das, was mich aus dem Konzept bringt. Ich fühle mich ihren Gewißheiten gegenüber minderwertig, wie jemand, der den Dingen immer hinterherhinkt und sie niemals einholt. Ich habe außerdem den Eindruck, daß ich mich an zu vielen Fronten unnötig verausgabt und Spuren verfolgt habe, die keine waren. Meine Mißerfolge haben mich in eine Art Verlorene-Liebesmüh-Haltung getrieben, sie nehmen mir jede Lust, noch einmal von vorn anzufangen.
    Die Dame lauert gespannt auf meine Reaktion. Sie sieht sehr wohl, daß sie auf sich warten läßt, gibt jedoch nicht auf. Sie ahnt, daß mir keine andere Möglichkeit bleibt und meine krankhafte Neugierde meine Bedenken hinwegfegen wird.
    Eine ganze Weile schweige ich, und erst nachdem meine Zigarette mit einem letzten Rauchfädchen ihre Seele ausgehaucht hat und ich sie mit meinem Schuh ausgedrückt habe, sage ich: »Bis jetzt habe ich nur so viel erfahren, wie Sie wollten.«
    »Ich habe zwei Zeugen, die bereit sind, uns zu empfangen. Ein ehemaliger Häftling, der in den siebziger Jahren mit dem Namenlosen zusammen in einer Zelle gesessen hat, und ein Gefreiter, der sich erinnert, daß ein Junge sich der Polizei stellte, weil er angeblich eine Serie von Morden begangen hatte.«
     
    Soria Karadachs Zeuge Nummer eins gefiel mir von Anfang an nicht. Eine verhutzelte Gestalt mit zu langen Armen und behaarten Ohren, einem Ganovengesicht und einem scheelen Blick. Einer, der über die Leiche seiner Mutter gehen würde, um sein Ziel zu erreichen.
    Er heißt Ramdane Cheikh und unterhält in einem der heruntergekommensten Viertel von Blida einen

Weitere Kostenlose Bücher