Nacht über Algier
Gemischtwarenladen. Um sich eine solche Ecke auszusuchen, muß man schon einen verdammten Groll gegen sich selbst hegen.
Der Kerl dämmert an seinem Ladentisch vor sich hin. Geradezu surrealistisch türmen sich in den Regalen hinter ihm Konservendosen, Linsentüten, Putzlappen, Ölkanister, Reinigungsmittel, Kekse, Pantoffeln, verstaubte Korbflaschen, Rattengift, Baguettes und sonstiger Kram, ohne Verfallsdatum oder Gebrauchsanweisung, für zwei Sous das Stück von Schwarzhändlern aufgekauft.
»Sieh einer an, Madame ist wieder da.« Träge richtet er sich auf.
Soria stellt mich vor: »Das ist der Freund, von dem ich Ihnen erzählt habe.«
Der Ladenbesitzer starrt mich an. Hinter seinen wulstigen Lippen tut sich ein Mund wie ein Gully auf, dessen Gestank sogar einen Kanalisationsarbeiter umhauen würde.
»Der hat eine Bullenschnauze, dein Freund, Madame.«
»Ins Schwarze getroffen«, bekenne ich. »Haben Sie ein Problem damit?«
Der Ladenbesitzer zieht die Schultern hoch. »Nein. Bulle oder Pizzalieferant, das ist mir schnuppe. Womit kann ich dienen?«
Ich sehe ihm gerade in die Augen. »Madame sagt, daß Sie den Namenlosen kennen?«
»Richtig. Ich war sieben Jahre im Bau, davon habe ich drei mit diesem Arschloch in einer Zelle verbracht.«
»Kann man erfahren, weswegen Sie verurteilt worden sind?«
Er zieht empört die Augenbrauen hoch. »Sonst noch was? Warum soll ich Ihnen nicht gleich erzählen, wie ich meine Frau geheiratet habe, wenn wir schon mal dabei sind? Ich hab ein Ding gedreht und dafür geblecht. Der Rest geht Sie nichts an.«
Er streckt seine Flosse zu Soria aus. »Derselbe Tarif, Madame.«
»Ich habe schon bezahlt.«
»Eine einzige Karte berechtigt nicht, denselben Film mehrmals zu sehen.«
»Es gibt Nonstop-Kinos«, erinnere ich ihn.
»Bei mir aber nicht, Alter«, entgegnet er, nachdem er sich wieder gefaßt hat.
»Es ist leichtsinnig, sich einen Schlagabtausch mit einem Polizisten zu liefern.«
Er reißt seine großen Lurchaugen auf, wirft den Kopf zurück und lacht übertrieben auf.
»Hör mal gut zu, Polyp. Die Bullen, die Bilanzen und die Gesetze der Republik, die können mich alle mal am Arsch lecken. Wenn ich ins Gras beiße, schert sich dieser fette Sack von Bürgermeister einen Dreck darum. Und wenn ich mit der Miete im Rückstand bin, hilft mir kein Mensch aus der Klemme. Also, entweder bezahlst du bar, oder wir lassen es. Offen gestanden, wenn die Dame mir vorher gesteckt hätte, daß du ein Bulle bist, hätte ich nicht zugesagt. Nicht, daß ich Angst hätte oder so, nein, rein aus Prinzip: Bullen kann ich nun mal nicht ausstehen. Sobald ich einen zu Gesicht bekomme, bin ich ein paar Tage seekrank.«
Er dreht sich zu Soria um. »Die Moneten, Madame.«
Soria holt zwei Scheine aus ihrer Tasche. »Für den Polypen auch.«
Ich habe Lust, ihm eins in die Fresse zu geben, als er obendrein noch die Scheine gegen das Licht hält, um sie auf ihre Echtheit zu prüfen.
»Was wollen Sie wissen?«
»Was du über den Namenlosen weißt. Aber ich warne dich, wenn wir nicht genug für unser Geld bekommen, kriegen wir es zurück.«
Er verzieht das Gesicht, wobei seine faulen Zähne sichtbar werden.
»Wie ich der Dame schon sagte, ich hab den Namenlosen im Knast kennengelernt. Damals hatten sie ihm gerade lebenslänglich aufgebrummt. Er war Anfang Zwanzig. Man wußte, warum er saß. Die Wärter erzählten uns, was die Boulevardpresse berichtete. Weil man ihn als extrem gefährlich einstufte, wurde er isoliert. Man konnte sich also eine ungefähre Vorstellung davon machen, mit wem man es zu tun hatte. Aber anscheinend hat man ihm nichts nachweisen können. Irgendwann wurde er in meine Zelle verlegt. Der Direktor wollte mir an den Kragen. Ein Versuch, mich in bester Gefängnistradition zu liquidieren. In den ersten Nächten war ich auf der Hut. Sobald er aufstand, um zu pissen, war ich auf den Beinen, mit dem Rücken zur Wand. Mit der Zeit, als nichts passierte, haben meine Magenkrämpfe nachgelassen. Nach zwei Monaten wurde mir klar, daß mein Zimmergenosse keine Gefahr war. Natürlich lag mir nichts daran, das überall herauszuposaunen. Solange sich die anderen vor Angst in die Hosen schissen, konnte ich mich gemütlich ausstrecken. Ich hab sogar selbst noch dazu beigetragen, das Bild von ihm zu bekräftigen, indem ich den Leuten, die allmählich daran zweifelten, daß der Typ unberechenbar sei, sagte, der Tag, an dem sich ihm jemand in den Weg stellen sollte, würde ein einziger
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