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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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ein ganzes Regiment Schreiberlinge am Hals, und warum nicht auch gleich den Rundfunk und das Fernsehen«, protestiert er. »Ich dachte, Sie arbeiten an einem Buch.«
    »Das stimmt ja auch«, erwidert Soria.
    Sein Arm beschreibt einen blitzschnellen Bogen, hält dann inne und weist in meine Richtung.
    »Warum dann dieser Typ? Ich kenne ihn, das ist ein Bulle aus Algier.«
    »Sie sind Brigadier, richtig?« schalte ich mich ein.
    »Ex ... Ex-Brigadier, bitteschön. Ich bin vor zehn Jahren pensioniert worden. Jetzt arbeite ich auf eigene Rechnung, und mir liegt nichts daran, Ärger zu kriegen.«
    »Was ist los?« fragt Soria ihn. »Beim letzten Mal waren Sie freundlich und äußerst aufgeschlossen.«
    »Beim letzten Mal dachte ich einer Historikerin behilflich sein zu können. Aber Sie haben mich belogen.«
    Er stürzt auf einen Metallschrank zu, greift sich eine Zeitung und schleudert sie auf den Tisch. »Sie sind nicht auf ein Buch, sondern auf einen Reißer aus.« Sein Finger fegt über eine fette Schlagzeile auf der ersten Seite: »>Haj Thobane Opfer eines Attentats<. Ich wette, daß Sie diesen Artikel geschrieben haben.«
    »Ich schwöre Ihnen, nein.«
    »Mir egal. Ich würde den Namenlosen niemals hinter diesem Attentat vermuten. Sonst hätte ich Ihnen nicht erlaubt, hier überhaupt einen Fuß reinzusetzen. All diese Schikanen, die Steuern, die Gemeinde, die Kunden, die Gläubiger und meine eigene Brut - ich habe es satt.« Er ist außer sich.
    Soria versucht ihn zu beruhigen, aber er bringt sie mit einer gebieterischen Geste zum Schweigen.
    »Verschwinden Sie von hier! Ein für allemal. Ich will Sie hier nicht mehr sehen, verstanden?«
    »Haben Sie Drohungen erhalten?« frage ich.
    »Drohungen? Was soll denn das heißen?« poltert er. »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich nicht in diese Geschichte hineingezogen werden will.«
    »Wir versprechen Ihnen, daß .«
    Er öffnet die Tür mit einer unwirschen Handbewegung und knurrt: »Gehen Sie.«
    Wir geben uns geschlagen und kehren auf den Hof zurück, wo ein Laster eine Ladung geschmuggelten Zement entlädt. Soria springt ins Auto, öffnet mir von innen und stellt den Motor an. Sie kocht vor Wut. Schließlich nimmt sie ihre Sonnenbrille aus dem Handschuhfach und drückt sie sich ins Gesicht.
    Ich drehe mich um und überrasche den Ex-Brigadier dabei, wie er uns von seiner Baracke aus, die Arme über der Brust verschränkt, mit giftigen Blicken verfolgt.
    »Ich kann überhaupt nicht beschreiben, wie betroffen mich diese Kehrtwendung macht, Kommissar«, bekennt Soria und fährt los. »Als wir uns das erste Mal getroffen haben, war er von einer so beispielhaften Korrektheit und Zuvorkommenheit.«
    »Wann war das?«
    »Etwa vor acht Tagen.«
    »Da war er noch nicht auf dem laufenden.«
    »Offenbar nicht. Er erklärte sich bereit, mir zu helfen, und hat mir zwei Telefonnummern gegeben, damit ich ihn jederzeit erreichen könne. Er war sehr geschmeichelt, denn ich hatte ihm versprochen, ihn in meinem Buch zu erwähnen. Glauben Sie, daß er Drohungen erhalten hat?«
    »Ich hab das so dahingesagt . Wie haben Sie ihn eigentlich aufgestöbert?«
    Sie wartet ab, bis sie einen Lieferwagen überholt hat.
    »Ganz einfach. Der Namenlose ist doch vor Gericht gestellt und verurteilt worden, nicht? Immerhin gibt es Archive. Ich habe den Zeitpunkt und den Ort seiner Festnahme herausgesucht, alles Weitere hat sich wie von selbst ergeben. Der Brigadier Gad war von 1969 bis 1973 Polizeibeamter in El Affroun. Er war der erste, der den Namenlosen verhört hat. Er hatte an jenem Abend Bereitschaftsdienst. Anfangs dachte er, der Namenlose sei nicht ganz richtig im Kopf, weil er sich weigerte, das Polizeirevier zu verlassen, und darauf bestand, daß man ihn in eine Zelle sperrte.«
    »Was hat er Ihnen Interessantes erzählt?«
    »Daß er an diese Geschichte vom Serienmörder nicht im mindesten glaubt. Damals hatte tatsächlich eine Reihe von Morden die Gegend in Angst und Schrecken versetzt. Gad zufolge handelte es sich dabei um Abrechnungen zwischen rivalisierenden Familien. Es war eine gewisse Psychose ausgebrochen, und die lokalen Machthaber, eher verärgert als beunruhigt, wurden von Algier angewiesen, jenem Blutvergießen, das dem Fortgang der Revolution schadete, ein Ende zu bereiten. Die Presse hat sich auf das Thema gestürzt und reißerische Artikel ausgeheckt, um eine Leserschaft zu unterhalten, die sonst mit demagogischen Reden traktiert wurde. Der Dermato hieß bald nur noch der >Werwolf<

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