Nacht über Algier
erfahren, wer sich hinter diesem >man< verbirgt?«
Sie setzt ihr allerschönstes Lächeln auf, stellt den Motor wieder an und flüstert mir, während sie den ersten Gang einlegt, zu: »Glaubwürdige, integre Leute, die anonym bleiben möchten, damit die Chance, daß die Wahrheit ans Licht kommt, so groß wie möglich ist. Ich habe zu diesen Personen genausoviel Vertrauen wie zu Ihnen, und Sie müssen mir ebenfalls vertrauen.«
16
Irgend jemand hat das Ortsschild korrigiert. Hat das Wort Welcome durchgestrichen, nun heißt es: »Wilkoum in Sidi Ba«, »Wehe euch in Sidi Ba«.
Um in dieses Dörfchen zwischen Algier und Medea überhaupt zu gelangen, muß man Tausende von gefährlichen Kurven nehmen, Hunderte von Hügeln erklimmen, einer buckliger als der andere, und alle fünf Sekunden verflucht man die Schlaglöcher, mit denen die Straße vermint ist und die einem sowohl die Stoßdämpfer als auch die Wirbelsäule ramponieren. Das schlimmste aber ist, am Ende feststellen zu müssen, daß sich die Tour nicht gelohnt hat. Denn Sidi Ba ist ein Winkel, so häßlich und öde, daß dich, wenn es dich doch dorthin verschlägt, nur ein Gedanke verfolgt: sofort wieder abhauen!
Ich habe in meinem Leben schon allerhand Schrott gesehen, aber Sidi Ba ist eine Extraerwähnung wert: Dieses Nest ist der Beweis dafür, daß die Menschen den Zenit ihres Genius erreicht haben und das Abenteuer Fortschritt zwar mit derselben Begeisterung wie die ersten Höhlenmenschen angehen, mangels Phantasie jedoch in entgegengesetzter Richtung, nämlich mit Kurs aufs Steinzeitalter.
Als ich das Fenster meines Hotelzimmers öffne, habe ich das Gefühl, auf ein Riesenghetto mit zerfressenen Straßen, grindigen Bürgersteigen und einem schwindelerregenden Wirrwarr abscheulicher Gassen zu blicken. Nicht ein Fingerbreit Grün, nicht ein einziges schönes Gebäude. Nur halbfertige Häuser, windschiefe Zäune und Elendshütten.
»An diesem Ort könnte ich meinen nächsten Schmöker jedenfalls nicht schreiben«, sage ich.
»Sie sind Schriftsteller, Monsieur Llob?«
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß Sie das nicht wußten?«
»Ich wußte es nicht. Was schreiben Sie?«
»Kriminalromane.«
»So was lese ich zwar nie, aber für Sie werde ich eine Ausnahme machen.«
»Sehr nett von Ihnen, Madame.«
Soria geht zum Fenster und schaut sich das Treiben auf dem Marktplatz an.
»Es tut mir wirklich leid, aber es ist das einzige Hotel in der Stadt.«
»Da können wir ja froh sein, daß es immerhin eins gibt.« Ich schließe das Fenster.
Das Zimmer ist winzig, verblichene Tapeten an den Wänden, keine Tagesdecke auf dem Bett, keine Gardinen an den Fenstern. Die verrottete Matratze dürfte gerade mal für einen Hungerstreikenden breit genug sein. Dem Bett gegenüber steht ein Metallschrank, daneben ein wackliger Tisch, außerdem ein verdrecktes Waschbecken.
»Ich hoffe, es gibt fließend Wasser?«
Soria macht ein verlegenes Gesicht. Da sie am Abend zuvor angereist ist, um die Zimmer zu reservieren und das Terrain zu sondieren, fühlt sie sich schuldig, mir nichts Besseres bieten zu können.
»Um die Ecke gibt es ein maurisches Bad.«
»Gut zu wissen. Und wie ist Ihre Königssuite?«
»Dieselbe Kategorie, außer daß meine Fenster auf den Hof einer lauten Tischlerei gehen.«
»Welches Stockwerk?«
»Wir sind auf derselben Etage. Es ist das Zimmer nebenan.«
Ich zünde mir eine Zigarette an. »Ich finde Sie sehr leichtsinnig. Ich bin Schlafwandler, wissen Sie.«
»Und ich habe Schlafstörungen.«
Schwer zu sagen, wie sie das gemeint hat. Sorias gerader Blick hilft mir auch nicht weiter. Ich lasse es dabei bewenden.
»Kann ich ein kleines Nickerchen machen?«
»Aber selbstverständlich, Monsieur Llob. Ruhen Sie sich aus. Die Reise war anstrengend, und was auf uns zukommt, wird auch keine Spazierfahrt.«
Sie hebt die Hand zum Gruß und verschwindet.
Die erste Adresse verschafft uns einen kurzen Aufenthalt in der Altstadt von Sidi Ba. Da sie für den Autoverkehr gesperrt ist, gehen wir zu Fuß dorthin. Sorias Anblick, ihr wackelnder Po in der hautengen Hose, ist für den Pöbel gewöhnungsbedürftig. Die kleinen Jungs unterbrechen verdutzt ihr Spiel. Manche, die uns für westliche Touristen halten, zucken mit den Schultern und nehmen ihr Indianergeheul wieder auf, andere weichen uns unsicher aus, um den bösen Zauber zu meiden, den sie um unsere Teufelsschatten kreisen sehen. An den Fenstern, auf den Türschwellen recken sich
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