Nacht über Algier
des Dreiecks Tipaza-El Affroun-Cherchelk Gads Chef wurde zum offiziellen Jäger der Bestie und obendrein zum Liebling des Feuilletons erkoren. Als sich der Namenlose auf der Wache meldete, um sich festnehmen zu lassen, war es, als ob der Himmel ihn geschickt hätte. Der Kommissar hielt die Chance seines Lebens in Händen; um einige Stufen auf der Karriereleiter zu überspringen, war ihm jedes Mittel recht. Nach Gads Aussage war er es, der den Namenlosen gezwungen hat, Morde zu gestehen, von denen einige nie nachgewiesen wurden, geschweige denn in dem entsprechenden Abschnitt registriert worden wären. Gad könnte beschwören, daß der Namenlose alles gestanden hätte, nur um eingelocht zu werden. Er hatte höllische Angst, daß man ihn wieder freilassen würde. Jedesmal wenn jemand ins Revier kam, versteckte er sich, als wäre man ihm auf den Fersen. Der Kommissar fand daran nichts Ungewöhnliches, im Gegenteil, er führte die Ermittlungen ganz nach seinem Belieben. Höchst erfreut, ein Gerücht, das groteske Ausmaße annahm, aus der Welt zu schaffen, stellte sich Algier hinter die Aussagen des Polizisten und legte die Affäre mit einem kurzen Telefonanruf ad acta.«
»Ein bißchen zu simpel, die Version, finden Sie nicht?«
»Da bin ich anderer Meinung, Kommissar. Wir leben in einem Land, wo alles abgenickt wird, Säuberungsaktionen ebenso wie irgendwelche großen Projekte. Ich hatte persönlich Zugang zu derart unglaublichen Akten, daß es schon wieder zum Lachen ist. Dabei waren sie genauso amtlich wie mein Personalausweis. Irgend etwas sagt mir, daß der Namenlose nicht aus Zufall den Weg von Haj Thobane gekreuzt hat. Und auch Ramdane Cheikh hat nichts erfunden. Zwei Tage nachdem ich ihn befragt habe, war ich im Rathaus von Sidi Ba und habe im Standesregister nach Belkacem Talbi gesucht. Ich habe ihn gefunden. Geboren am 27. Oktober 1950, im August 1962 als vermißt gemeldet, wie seine ganze Familie: sein Vater, seine Mutter, seine vier Brüder und seine Schwester.«
»Und was hat Haj Thobane damit zu tun?«
Sie bremst ab, fährt auf den Randstreifen und hält an. Eine ganze Weile starrt sie auf den Marabut [ Bezeichnung für einen islamischen Heiligen oder Einsiedler und gleichzeitig auch für dessen Kuppelgrab] oben auf dem Hügel. Nachdem sie das Für und Wider abgewägt hat, stellt sie den Motor aus und schaut mir gerade ins Gesicht.
»Kommissar, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, hier eine ernstzunehmende Spur in der Hand zu haben, hätte ich schon aufgegeben. Ich bin mir über die Auswirkungen dieser Affäre völlig im klaren; wer sich mit einem Zai'm anlegt, kommt nicht unbeschadet davon. Deshalb darf mir kein Fehler unterlaufen.
Aber ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich müßte lügen, wenn ich behaupten würde, daß ich nicht in Ihrer Akte herumgeschnüffelt habe. Sie sind genau der Richtige in dieser Situation. Allerdings denke ich nicht daran, daß ich Sie auf Touren bringe und Sie mich dann mit dem ganzen Mist sitzenlassen. Diese Geschichte wühlt mich bis ins Innerste auf. Wenn Sie mitziehen, können Sie sich auf mich verlassen. Sie bekommen dann alle Informationen, die ich habe. Und Sie halten Ihrerseits nicht das geringste Detail zurück, das für meine Arbeit als Historikerin und Journalistin von Nutzen sein könnte ... Wollen Sie jetzt gleich schwören, oder brauchen Sie ein paar Tage Bedenkzeit?«
»Lino würde es mir übelnehmen, wenn ich es auf die lange Bank schieben würde.«
Sie streckt mir ihre rosige Hand entgegen und sagt:
»Ich bin erleichtert, Kommissar.«
»Na schön, aber Sie haben noch immer nicht auf meine Frage geantwortet.«
Sie bohrt ihren Blick in meinen, als wolle sie den Schleier wegziehen, hinter dem sich meine Gedanken verbergen. Ich zucke nicht mit der Wimper. Sie nickt zustimmend. »Während des Befreiungskriegs war Haj Thobane Militärchef in der Region von Sidi Ba. Es wird erzählt, daß das, was die Zivilbevölkerung und die Harki s [ (arab.) Bezeichnung für die algerischen Überläufer, die sich im Unabhängigkeitskrieg auf französischer Seite engagierten] unter ihm erdulden mußten, unvorstellbar ist. Der Namenlose hat nicht aus Zufall einen Anschlag gegen ihn verübt, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Es steckt etwas dahinter, Kommissar, und mein Vorgefühl beruht nicht nur auf meinem Spürsinn als Journalistin. Ein kleiner Ausflug nach Sidi Ba wäre zweifellos Wasser auf unsere Mühlen. Man hat mir ein paar Adressen zugespielt .«
»Kann man
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