Nacht über Algier
will, daß diese Schweinehunde ihre Zeche zahlen. Vielleicht gibt es ja doch noch Gerechtigkeit auf dieser Erde.«
»Dann also bis morgen.«
»Bis morgen, werter Historiker. Ganz bestimmt.«
Ich begleite ihn zur Tür.
Als ich mich umwende, sehe ich Soria mit betroffener Miene am Fenster stehen. Mit zusammengekniffenen Augen blickt sie auf den brodelnden Platz hinunter.
»Kann ich bitte eine Zigarette haben, Monsieur Llob?«
18
Tarek Zoubirs Bruchbude ist tatsächlich von der Straße aus zu sehen. Es ist 13 Uhr 50. Die Sonne drischt wie besessen auf das Land ein. Soria sitzt am Steuer, ganz zerknittert im Gesicht. Sie hat die Nacht damit verbracht, im Zimmer auf und ab zu wandern und pausenlos etwas in ihre Unterlagen zu kritzeln. Am Morgen war sie noch immer so in ihre Papiere vertieft, daß sie mich weder klopfen noch hereinkommen hörte. Schwer zu sagen, was in ihr vorgeht. Seit gestern abend hat sie fast nichts mehr gesagt und viel von ihrem Enthusiasmus eingebüßt, als wachse ihr diese Geschichte auf einmal über den Kopf. Natürlich versucht sie sich nichts anmerken zu lassen, aber ihr verschleierter Blick kann niemanden täuschen.
Soria hupt. Es rührt sich nichts. Wir warten geduldig zwei Minuten, dann steige ich aus und klopfe an die wurmstichige Holztür. Nichts. Ich horche, kein Laut auf der anderen Seite. Ich rufe, meine Stimme prallt gegen die Lehmwände und verhallt, ohne irgend jemandes Interesse geweckt zu haben. Ich drücke vorsichtig die Klinke runter, die Tür öffnet sich auf einen kleinen Patio. Auf dem Boden liegt ausgestreckt ein Hund. Er rührt sich nicht. Sein Kopf ist gespalten. Soria fährt zusammen, als sie mich meine Waffe ziehen sieht. Ich bitte sie, das Auto nicht zu verlassen, und dringe auf Zehenspitzen ins Haus vor. Ein kleiner Tisch liegt umgekippt auf dem Fußboden, auf der Außentreppe hat man einen Schuh vergessen. Mit dem Rücken gegen die Wand taste ich mich vorwärts. Das Fenster im schäbigen Wohnzimmer steht weit offen, es herrscht ein heilloses Durcheinander in dem Raum. Die Beretta im Anschlag, steige ich über Möbel- und Kleidungsstücke. Als ich den Kopf hebe, entdecke ich ihn. An einem Balken aufgehängt. Nackt. Sein Körper ist mit blauen Flecken übersät. Starr blickt Tarek Zoubir in eine Ecke des Zimmers, die Zunge aus dem Mund, die Nase abgeschnitten.
Ich stürze zurück auf den Hof, untersuche die Umgebung, keine Menschenseele.
»Ich rate dir, nicht nachzusehen«, sage ich, als Soria mißtrauisch auf mich zukommt.
Sie schiebt meinen Arm weg und geht weiter. Ich halte sie am Handgelenk fest.
»Nimm deine Pfoten weg!« brüllt sie. Sie ist nicht wiederzuerkennen.
»Das ist kein schöner Anblick.«
»Ich habe Schlimmeres gesehen.«
Sie betritt das Wohnzimmer. Ich hatte damit gerechnet, daß sie Hals über Kopf kehrtmachen oder sich übergeben würde, doch nichts dergleichen. Sie steht fest auf ihren Beinen und betrachtet die verstümmelte Leiche mit einer Gelassenheit, daß es mir kalt den Rücken runterläuft.
»Pech gehabt«, brummt sie.
»Kann man wohl sagen.«
Sie läßt den Gehängten nicht aus den Augen. Ihre Schläfen schwellen vor Zorn an. In der Stille des Hauses wird ihr Atem zu einem lauten Rasseln. »Sie haben ihm die Nase abgeschnitten«, sagt sie.
»Ich hab's gesehen.«
Während des Befreiungskrieges haben die Freiheitskämpfer den vermeintlichen Verrätern die Nase - Sinnbild des Stolzes - abgeschnitten, bevor sie sie durch die Straßen trieben, damit die Leute die entsprechenden Lehren daraus zögen. Das nach sechsundzwanzig Jahren Wiederaufleben zu sehen versetzt mir einen Schock.
»Sie versuchen uns Angst zu machen.«
»Haben Sie Angst, Madame?«
»Nein, und Sie?«
»Ein bißchen, aber nicht genug, um aufzugeben.«
Der Kommissar von Sidi Ba ist wütend.
»Da haben wir's«, wettert er. »Du brauchst nur aufzukreuzen, und schon gibt's Leichen. Wir haben hier ruhig und angenehm gelebt, bis du auf deinem hohen Roß angeprescht kamst und deine Show abgezogen hast. Du bist nicht in Algier, Genosse. Das hier ist meine Stadt. Wenn du Probleme hast, wendest du dich an mich. Du hast nicht das Recht, mir auf den Füßen rumzutrampeln. Es gibt Dienstvorschriften, und es gibt Kompetenzen.«
»Würde es dir etwas ausmachen, den Ton leiser zu stellen?« frage ich ihn. »Man hört dich bis in den hintersten Winkel der Stadt.«
»Deine hochnäsige Art geht mir langsam auf den Wecker. Du meinst wohl, weil du aus Algier bist,
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