Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Hauptgrund dafür, dass ich ihr nicht geglaubt habe. Sie hat die ganze Sache bewusst vage dargestellt. Bei diesen Anschuldigungen muss sie keine hieb- und stichfesten Beweise vorlegen – Vaginalabstrich, Schamhaaruntersuchung, derlei Kram. Das soll eine Warnung von Seiten der Familie LaRose sein. Wenn’s sein muss, kipp ich denen den ganzen Mist wieder vor die eigene Tür.«
Er faltete die Hände auf dem Schreibtisch. Sein Gesicht war rot angelaufen, was vermutlich auch an seinem zu hohen Blutdruck lag.
Da hast du was vor dir, Skipper, dachte ich.
Die meisten Menschen, die im Gefängnis sind, haben es verdient. Wenn man sich mit alten Gewohnheitsverbrechern unterhält, die eine lange Haftstrafe absitzen, hört man immer wieder, dass sie eigentlich gut weggekommen seien, weil sie nämlich noch viel schlimmere Dinger gedreht hätten.
Es gibt Ausnahmen, aber nicht viele. Die meisten haben sich die Bürde, die sie tragen müssen, selbst zuzuschreiben. Aber leicht ist sie nicht, egal, wie modern die Haftanstalt ist, und trotz allen Geschwätzes, dass die heutigen Gefängnisse eher eine Art Landerholungsheim seien.
Man stelle sich vor, man ist ein neunzehnjähriger Frischling, ungebildet, ängstlich, mit einem IQ um die 100. Bei der Einlieferung lässt man einen privilegierten Sträfling abblitzen, der in der Registratur arbeitet und einen in das Liebesleben hinter Gittern einführen will, worauf dieser dafür sorgt, dass einem von vornherein ein schlechter Ruf anhängt (er gibt die Parole aus, dass man einen friedlichen alten Knacki verpetzt hat und schuld daran ist, dass er seine Vergünstigungen verloren hat).
Sobald du mit den anderen Häftlingen zusammen bist, stehst du unter Druck. Du überlegst dir, dass dich einer bei der Essensausgabe abstechen könnte, dir einen Molotowcocktail in die Zelle schmeißt, und bei der Arbeit auf dem Sojafeld hörst du sie darüber tuscheln, was du heute Abend in der Dusche erleben wirst.
Daher gehst du in dich, überlegst dir, wie du überleben kannst, und suchst dir einen Beschützer, einen »alten Mann«, und wirst sein fester Freund, stehst damit immerhin eine Stufe über den Hofhuren. Du beschaffst Stoff, Selbstgebrannten und Schwarzen Afghan für die schweren Jungs; du machst mit, als in einem Geräteschuppen, dessen Blechwände vor Hitze ächzen, ein anderer Frischling fertig gemacht wird, der dich bloß einen Moment lang an jemanden erinnert, den du mal gekannt hast.
Dann kommt der Tag, an dem du zum ersten Mal glaubst, dass du wieder rausgelassen wirst. Du bist jetzt anerkannt, bist zwei Jahre drin und hast allerlei Vergünstigungen. Du hörst morgens die Vögel zwitschern, was du vorher nie wahrgenommen hast; du erlaubst dir schon mal einen Gedanken an die Außenwelt, an das Gesicht eines Mädchens in einer kleinen Stadt, an einen Job in einer Sägemühle in den Wäldern, wo es nach Harz und heißem Öl riecht, an einen ganz gewöhnlichen Tag, der nicht von Angst beherrscht wird.
Das ist der Zeitpunkt, zu dem du dich bei dem Beschützer für seine Hilfe bedankst. Er hat Verständnis dafür. Wenn du das nächste Mal vor dem Bewährungsausschuss stehst, hast du eine echte Chance, wieder raus in die Welt zu kommen. Warum solltest du dir das jetzt versauen?
An diesem Abend gehst du allein in die Dusche. Ein Mann, der dich vorher keines Blickes gewürdigt hat, ein schwerer Junge mit Hasenscharte, platter Nase und nacktem Oberkörper, der einen strengen Geruch verströmt, wie frisch ausgegrabene Zypressenwurzeln, packt dich mit bloßen Fingern am Schädel, zerrt dich an sich, dass du seinen Atem spürst, quetscht dich zusammen, bis du das Knacken nicht mehr hörst, dafür aber die Worte, die er mit bebender Stimme, zärtlich wie ein Liebhaber, nur Zentimeter von deinem Mund entfernt ausstößt:
Ich schäl dir die Augen mit’m Löffel raus.
Es war später Nachmittag, als mich der Wachmann in seinem Pick-up mit hinunter zum Uferdamm des Mississippi nahm, wo Aaron Crown ein Feld eggte. Er saß mit krebsrotem Gesicht auf dem Traktor, hatte eine Schirmmütze auf und ließ den Motor auf vollen Touren laufen, zermahlte den von der Sonne festgebackenen Acker zu feiner Krume, setzte dann inmitten einer zimtroten Staubwolke zurück und zerkleinerte die bereits zerkrümelte Scholle erneut, so als wollte er sich und seinesgleichen am Erdreich rächen.
Bei einem Weidengehölz am Feldrand standen vier schwarze Häftlinge, alle bis zur Taille entblößt, und warfen dürre Zweige in
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