Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
werde nie zu Ende gehen. Doch sie ging vorbei, Schritt für Schritt, auf eine Art und Weise, die seinerzeit bedeutungslos schien – zum Beispiel in Gestalt eines sonnengebräunten Ölmaklers, der unverhofft vor dem Tor stand, Khakiarbeitskleidung anhatte und nicht viel anders wirkte als wir anderen auch.
Ich zog den Stecker der Musikbox aus der Wand. Die Plastikleuchtröhren erloschen und knisterten in der Stille wie brennendes Cellophan.
Dann fuhr ich zur Bibliothek der University of Southwestern Louisiana in Lafayette.
Bufords Bibliografie war beeindruckend. Er hatte historische Abhandlungen über die Knights of the White Camellia, die White League und die blutigen Revolten veröffentlicht, die sie nach dem Bürgerkrieg gegen die Besatzungsmacht der Bundesregierung geführt hatten. Die Artikel waren in der nüchternen, schwer verständlichen Sprache akademischer Fachblätter verfasst, doch seine wahre Gesinnung hatte er nicht allzu gut kaschiert: Den Reitern, die des Nachts auszogen, mordeten und brandschatzten, hatte man ihre Rolle aufgezwungen.
In psychologischen und medizinischen Fachzeitschriften standen weitere Beiträge von ihm. Die Themen waren vielseitig, ohne eine eindeutige Linie, befassten sich unter anderem mit allerlei Phobien und Depressionen, aber auch mit so genannten Hassgruppen, radikalen Gruppierungen, die sich mit einer pluralistischen Gesellschaftsordnung nicht abfinden mochten.
Doch in den letzten fünf Jahren hatte er ein anderes wissenschaftliches Interessengebiet gefunden und schrieb seither über Psychopharmaka und ihre Verwendung zur Heilung Alkoholkranker.
Ich brachte die Zeitschriften und Fachblätter zur Ausgabestelle zurück. Aber es war noch nicht einmal Mittag, und da ich ohnehin hier war und meines Wissens nichts anderes zu tun hatte, bat ich die Bibliothekarin um die Studentenjahrbücher aus den frühen Siebzigerjahren – ungefähr die Zeit, um die Karyn LaRose die U. S. L. besucht haben musste.
Sie war nicht in die Welt eines Buford LaRose hineingeboren worden. Ihr Vater war ein schwer arbeitender, liebenswerter Mann gewesen, der die Automatenaufsteller mit Kaugummikugeln und allerlei neumodischem Krempel, zum Beispiel mit Monsterzähnen aus Plastik und Vampirfingernägeln, belieferte. Die Familie wohnte in einem kleinen Holzhaus an der alten Straße nach St. Martinville, und die Unterkanten der ungestrichenen, knochentrockenen Garage schillerten in allen Regenbogenfarben, weil die im Inneren gelagerten Kaugummis im Lauf der Zeit zerschmolzen und durch den Boden gesickert waren. Wenn man Karyn fragte, womit ihr Vater sein Geld verdiene, erwiderte sie stets, er sei Großhandelskaufmann.
Die meisten von uns, die auf die U. S. L. gingen, stammten aus französischsprachigen Arbeiterfamilien oder konnten es sich nicht leisten, die Louisiana State oder die Tulane University zu besuchen. Wir kamen hauptsächlich aus den umliegenden Bezirken und fuhren nach Unterrichtsschluss wieder heim, daher herrschte auf dem Campus zumeist gähnende Leere, und an den Wochenenden war so gut wie gar nichts los.
Aber nicht so Karyn. Sie machte das Beste aus ihrer Situation, und ihr Name samt Foto tauchte ein ums andere Mal in den vier Jahrbüchern auf, in denen ihre Studienzeit an der U. S. L. festgehalten war. Sie kam in die Damentennismannschaft, gehörte einer Studentinnenvereinigung und dem Ehrenrat an, war im einen Jahr Ehrenjungfer der Schulfestkönigin und wurde im Jahr darauf, bei der nächsten Wiedersehensfeier mit den Ehemaligen, selbst zur Schönheitskönigin gewählt. Auf den Fotos wirkte sie bescheiden, strahlte aber übers ganze Gesicht, so als bestünde die ganze Welt für sie nur aus Güte und wohlfeilen Verheißungen.
Ich wollte das letzte Jahrbuch bereits zuschlagen und den ganzen Stapel zur Ausgabestelle zurückbringen, als ich mir noch einmal ein Gruppenfoto anschaute, das vor Karyns Wohnheim aufgenommen worden war, und die Namen im Bildtext überflog.
Die Studentin am äußersten Ende der Reihe, neben Karyn, war Persephone Giacano. Beide lächelten, standen Schulter an Schulter, so eng beisammen, dass sich ihre Handrücken berührten.
Ich suchte in den anderen Jahrbüchern nach Persephone. Ihr Name tauchte nirgendwo auf. Es war, als ob sie nur zu dem einen Gruppenfoto vor dem Wohnheim angetreten sei, sich ansonsten aber nie wieder auf dem Campus habe blicken lassen.
Die Verwaltung war noch offen. Ich rief vom Telefon der Bibliothekarin in der Registratur an.
»Wir
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