Nacht ueber den Highlands
der Art, wie Zenobia um sich blickte, war sehr beunruhigend, ja beängstigend.
»Ich weiß vieles über jene, die im Gefängnis meines Vaters saßen, und ich schäme mich zutiefst dafür«, flüsterte sie. »Es geht gar nicht so sehr um die Geschichten, die die Bruderschaft zu erzählen hat, obwohl die schlimm genug sind, sondern um das, was ich von den Männern meines Vaters erfuhr, die nicht selten mit den Grausamkeiten prahlten, die sie ihren >Schützlingen< zufügten. «
Rowena berührte mitfühlend ihren Arm. »Habt Ihr ihnen deshalb zur Flucht verholfen?«
Zenobia nickte. »Mein Vater hat vergessen, dass das Volk meiner Mutter anders ist. Es ist nicht unsere Art, wie eine Zierpuppe an der Seite unseres Mannes zu sitzen und nichts zu sagen, besonders angesichts von schreiender Ungerechtigkeit. Wir Ayasheen stammen von den Amazonen ab. Wir haben das Recht und die Pflicht, gegen das Böse zu kämpfen. Ich höre noch, wie meine Mutter immer sagte, dass kein Mensch das Recht habe, einem anderen die Würde zu rauben. Bei ihrem Volk war es üblich, einen Feind entweder hinzurichten oder zu respektieren. Wenn er hingerichtet worden war, dann brauchte man nicht länger an ihn zu denken. Wenn man ihm dagegen gestattete, mit Würde zu gehen, dann ging er auch. Aber wenn man einen Feind festhält und ihn permanent demütigt, ihn seiner Würde beraubt, wird er eines Tages Zurückschlagen - und wehe dir, wenn er das tut. Es gibt keine furchterregendere Macht als lange genährte Rachegefühle.«
Rowena nickte. »Eure Mutter war sehr weise.«
»Aye, das war sie wirklich. Ihr erinnert mich sehr an sie.«
Rowena war überrascht über diesen Vergleich Zenobias. »Ich?«
»Mhm. Meine Mutter nannte mich immer Karima. Das heißt >Äffchen< in unserer Sprache. Sie sagte immer, ich renne andauernd herum und kreische und werfe mit Sachen um mich, bis ich meinen Willen kriege. Sie war eine stille, gelassene Frau. Sie war wie eine unverrückbare Mauer, willensstark und selbstbewusst.«
Rowena lächelte. »Das klingt viel besser als >unverbesserlicher Dickschädel< wie mein Onkel mich immer nennt.«
Zenobia musste lachen. »Sturheit ist nur dann falsch, wenn sie dazu führt, dass man gegen die eigenen Interessen handelt.«
»Wie das?«
»Wisst Ihr noch, den Mann, den ich erwähnt habe? Den ich liebe?«
»Aye.«
»Es ist seine Sturheit, die ihn von mir fern hält. Anstatt anzunehmen, was ich ihm zu bieten habe, reist er lieber rastlos in der ganzen Welt herum, immer auf der Suche nach einem Frieden, den er so nie finden wird. Manchmal ist das, was wir wollen, und das, was wir brauchen, einfach nicht miteinander vereinbar.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Wenn Stryder den Sängerwettbewerb gewinnt und Ihr damit die Freiheit, Euren Gatten selbst zu wählen, wen würdet Ihr dann wählen?«
Das war nicht schwer. »Ich würde meine Freiheit wählen - jedenfalls so lange Heinrich sie mir lässt.«
»Weil Ihr sie braucht oder weil Ihr sie wollt?«
Rowena wandte den Blick ab. Ja, das war die eigentliche Frage. »Weder noch. Ich wähle die Freiheit, weil der Mann, den ich will, genauso ist wie der Eure. Er würde nie bei mir bleiben. Und wenn ich ihn dazu zwingen würde, würde er mich nur hassen. Nein, besser allein alt werden, als mit einem Mann verheiratet sein, der mich hasst, weil ich ihn zwang, an meiner Seite zu leben.«
Zenobia lachte zu Rowenas Überraschung abermals. »Ihr seid wie meine Mutter, Patrulla.« Sie nahm ihren Arm und führte sie zur Treppe. »Kommt mit, Rowena. Ich habe den Mann, den ich liebe, verloren, aber Ihr ... mal sehen, was wir für Euch unternehmen können.«
»Glaubt Ihr denn, dass er gewonnen werden könnte?«
Zenobia stieß den Atem aus. »Nun, wir können es zumindest versuchen.«
13. Kapitel
Stryder schritt am Rand des Turnierplatzes entlang und kam sich vor wie ein Aussätziger. Der heutige Zweikampf mochte ihn zwar vor den Augen des Gesetzes rehabilitiert haben, doch nicht vor den Augen der Leute. Die hielten ihn immer noch für einen Mörder.
Wo er ging und stand, wurde gewispert und getuschelt. Ausnahmsweise wurde er einmal nicht von den Damen belagert. Wahrscheinlich hätte er sich sogar nackt ausziehen können, und niemand wäre ihm zu nahe gekommen.
Nun, eine Mordanklage hatte auch ihr Gutes ...
Er seufzte. Dann fiel sein Blick auf seinen Bruder, der allein unter einem Baum saß, an seiner Laute zupfte und sich immer wieder Notizen machte.
Stryder ging sofort auf ihn zu.
Kit
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