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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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noch eine Frage: »Sind Sie in Begleitung Ihres Gatten, Mrs. Lene- han?«
    Sie klimperte mit den Wimpern. Das war gewöhnlich ein wirkungsvoller Zug, wenn man einen Mann zu etwas überreden wollte. »Ich bin verwitwet, Captain.«
    »Das tut mir leid. Haben Sie Gepäck?«
    »Nur diese Reisetasche.«
    »Wir nehmen Sie gern nach New York mit, Mrs. Lenehan«, sagte er nun.
    »Gott sei Dank!« hauchte Nancy inbrünstig. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wichtig das für mich ist.« Einen Augenblick lang wurde ihr vor Erleichterung ganz schwindelig. Sie setzte sich rasch auf den nächsten Stuhl. Um sich keine Blöße zu geben und ihre Gefühle wieder in den Griff zu bekommen, kramte sie rasch in ihrer Handtasche und holte das Scheckbuch heraus. Mit zitternder Hand unterschrieb sie einen Blankoscheck und reichte ihn dem jungen Mann.
    Jetzt konnte sie sich Peter vornehmen.
    »Ich habe ein paar Passagiere im Ort gesehen«, sagte sie. »Haben Sie eine Ahnung, wo sich die übrigen aufhalten?«
    »Die meisten in Mrs. Walsh‘s Pub«, antwortete der junge Mann. »Es ist in diesem Haus. Der Eingang ist um die Ecke.«
    Nancy stand auf. Sie hatte sich wieder fest im Griff. »Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
    »Wir freuen uns, daß wir Ihnen helfen konnten.«
    Sie verließ das Zimmer.
    Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, hörte sie ein Stimmengewirr einsetzen und wußte, daß die Männer freche Bemerkungen über eine attraktive Witwe machten, die es sich leisten konnte, einen Blankoscheck auszustellen.
    Sie trat ins Freie. Es war ein milder Nachmittag mit etwas Sonne, und die Luft roch angenehm nach salzigem Meerwasser. Nun mußte sie ihren treulosen Bruder finden.
    Sie ging um die Hausecke herum und betrat das Pub.
    Es war die Art von Lokal, in das sie normalerweise nicht gehen würde: klein, dunkel, einfach ausgestattet, sehr männlich. Zweifellos war es ursprünglich als Kneipe für Fischer und Bauern gedacht gewesen, doch jetzt war es voll von Millionären, die Cocktails schlürften. Es war stickig und laut, und es herrschte Partystimmung unter den Fluggästen. Bildete sie es sich nur ein oder schwang in dem Gelächter ein Hauch von Hysterie mit? Sollte die lärmende Fröhlichkeit etwa die Angst vor dem langen Flug über den Ozean überdecken?
    Sie ließ den Blick über die Menge schwellen und entdeckte Peter.
    Er bemerkte sie nicht.
    Sie starrte ihn einen Moment lang an, und ihre Wut entflammte aufs neue. Sie spürte, wie ihre Wangen brannten. Sie hatte ein heftiges Verlangen, ihn zu ohrfeigen. Aber sie unterdrückte ihren Zorn. Sie würde ihm nicht zeigen, wie erregt sie war. Es war immer klüger, sich cool zu geben.
    Er saß in einer Ecke, und Nat Ridgeway war bei ihm. Das war ein weiterer Schock. Nancy hatte gewußt, daß Nat wegen der Kollektionen in Paris war, aber sie war gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß er mit Peter zurückfliegen könnte. Sie wünschte sich, er wäre nicht hier. Seine Anwesenheit würde die Sache nur verkomplizieren. Sie mußte vergessen, daß sie ihn einst geküßt hatte. Sie verdrängte den Gedanken.
    Sie bahnte sich einen Weg durch die Gäste zu ihrem Tisch. Nat blickte als erster auf. Sein Gesicht verriet Bestürzung und Schuldbewußtsein – das zumindest befriedigte sie ein wenig. Als Peter sein Gesichtsausdruck auffiel, schaute auch er auf.
    Nancy blickte ihm in die Augen.
    Er wurde blaß und schoß von seinem Stuhl hoch. »Großer Gott!« entfuhr es ihm. Er wirkte zu Tode erschrocken.
    »Warum hast du solche Angst, Peter?« fragte Nancy voll Verachtung.
    Er schluckte heftig und sank auf seinen Stuhl zurück.
    Nancy lächelte und sagte schneidend: »Du hast doch wahrhaftig für eine Passage auf der Orania bezahlt, obwohl du gewußt hast, daß du sie nicht benutzen würdest. Du bist mit mir nach Liverpool gekommen und hast dir ein Zimmer im Hotel Adelphi genommen, obwohl du gar nicht beabsichtigt hattest, dort zu übernachten. Und das alles, weil dir der Mut fehlte, mir zu sagen, daß du den Clipper nehmen würdest!«
    Er starrte sie mit blassem Gesicht stumm an.
    Sie hatte nicht vorgehabt, ihm hier eine Predigt zu halten, aber die Worte kamen wie von selbst. »Du hast dich gestern aus dem Hotel geschlichen und bist nach Southampton gerast, in der Hoffnung, ich würde nicht rechtzeitig dahinterkommen!« Sie beugte sich über den Tisch, und er wich vor ihr zurück. »Wovor hast du solche Angst? Ich werde dich nicht beißen!« Bei dem Wort beißen fuhr er zusammen, als würde

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