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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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glückstrahlend zu. »Carol-Ann!« brüllte er. »Carol-Ann!«
    Natürlich konnte sie ihn nicht hören, sondern nur sehen. Sie zuckte überrascht zusammen, zögerte einen Moment lang, als sei sie nicht sicher, wen sie vor sich hatte, doch schließlich winkte sie zurück, zunächst ein wenig scheu, dann aber immer entschiedener.
    Wenn sie so winken kann, dann ist ihr nichts zugestoßen, dachte Eddie, und vor lauter Erleichterung und Dankbarkeit wurde ihm plötzlich ganz flau.
    Dann fiel ihm ein, daß noch längst nicht alles vorbei war und weitere Aufgaben auf ihn warteten. Er winkte ein letztes Mal, bevor er widerstrebend in die Maschine zurückging.
    Gleichzeitig mit Captain Baker, der vom Passagierdeck zurückkam, betrat er das Cockpit. »Irgendwelche Schäden?« fragte Baker.
    »Soweit ich sehen kann, keine.«
    Der Captain wandte sich sogleich an den Funker, der berichtete: »Unser SOS ist von mehreren Schiffen beantwortet worden, aber das nächstgelegene ist ein Schnellboot, das sich von backbord nähert. Sie müßten es von hier aus sehen können.«
    Der Captain warf einen Blick aus dem Fenster und sah das Boot. Er schüttelte den Kopf. »Das hilft uns nichts. Wir müssen abgeschleppt werden. Versuchen Sie, die Küstenwache zu alarmieren.«
    »Die Leute auf dem Schnellboot wollen an Bord kommen«, erwiderte der Funker.
    »Kommt nicht in Frage«, erklärte Baker kategorisch. Eddie war bestürzt: Sie mußten unbedingt an Bord kommen! »Das ist zu gefährlich«, fuhr der Captain fort. »Wir können kein Boot gebrauchen, das an der Maschine vertäut ist, es könnte den Rumpf beschädigen. Und wenn wir versuchen, bei diesem Wellengang Passagiere auszubooten, fällt garantiert jemand in die verdammte Pfütze. Sagen Sie ihnen, wir bedanken uns für das Angebot, aber sie können uns nicht helfen.«
    Damit hatte Eddie nicht gerechnet. Er verbarg seine plötzlich aufkommende Besorgnis hinter einer unbeteiligten Miene. Zum Teufel mit dem Schaden an der Maschine! dachte er. Luthers Bande muß an Bord! Und ohne Hilfe aus dem Clipper wird es sehr schwer für sie.
    Erst jetzt ging ihm auf, daß es selbst mit Hilfe ein wahrer Alptraum sein mußte, durch die üblichen Türen an Bord der Maschine zu klettern. Die Wellen schwappten bis zur halben Höhe der Türen über die Seeflügel, so daß sich niemand unvertäut darauf halten konnte. Und wenn die Tür geöffnet würde, drang das Wasser bis in den Speiseraum. Da der Clipper gewöhnlich nur bei leichtestem Wellengang landete, hatte Eddie an dieses Problem bisher noch nicht gedacht.
    Wie sollte die Bande also an Bord kommen?
    Sie mußte durch die vordere Luke im Bug steigen.
    Der Funker sagte: »Ich habe ihnen mitgeteilt, daß sie nicht an Bord kommen können, aber sie scheinen sich keinen Deut darum zu scheren.«
    Eddie schaute hinaus. Das Boot umkreiste das Flugzeug.
    »Dann ignorieren wir sie einfach«, erklärte der Captain.
    Eddie stand auf und ging nach vorn. Kaum hatte er einen Fuß auf die Leiter gesetzt, die in den Bug hinunterführte, da rief ihm der Captain nach: »Wo wollen Sie hin?«
    »Muß den Anker im Auge behalten«, erwiderte Eddie vage und ging einfach hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.
    »Der Kerl ist erledigt«, hörte er Baker sagen.
    Das ist mir schon lange klar, dachte Eddie schweren Herzens.
    Er trat auf die Plattform hinaus. Das Boot war noch etwa zehn bis zwölf Meter von der Nase des Clippers entfernt, und er sah Carol- Ann an der Reling stehen. Sie trug ein altes Kleid und flache Schuhe, als wäre sie gerade bei der Hausarbeit gewesen und hätte ihren besten Mantel übergeworfen, als die Kidnapper sie holten. Er konnte jetzt ihr Gesicht erkennen und sah, wie blaß und erschöpft sie wirkte. Das zahle ich euch heim! dachte Eddie, und wieder spürte er eine namenlose Wut.
    Er stellte die zusammenklappbare Ankerwinde auf und winkte den Leuten auf dem Motorboot zu, deutete auf das Gerät und tat, als wolle er ihnen ein Tau zuwerfen. Er mußte es mehrmals wiederholen, bevor bei den Männern an Deck der Groschen fiel. Erfahrene Seeleute waren das sicherlich nicht. In ihren doppelreihigen Anzügen und mit den Filzhüten auf dem Kopf, die sie im böigen Wind krampfhaft festhielten, wirkten sie ziemlich fehl am Platze. Der Kerl im Steuerhaus war wahrscheinlich ihr Steuermann, aber der hatte alle Hände voll mit seinen Instrumenten zu tun sowie mit dem Versuch, das Boot stetig auf gleicher Höhe mit dem Flugzeug zu halten. Endlich gab einer der Männer ein

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