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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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vegetierte. Sobald Ball nach Hause gekommen war, überfiel ihn Teacock.
    »Nun sagen Sie mir nur das eine, Ball… ja, danke schön, danke schön, ich trinke nur eine Tasse und… nein, das Brötchen mit Schinken bitte… ja, nun sagen Sie mir nur, wie ist es möglich! Dieser Präriebursche, Sohn eines notorischen Säufers, dieser Mensch, der kaum lesen und schreiben kann, redet wie ein Rechtsanwalt! Was für Ausdrücke – was für Wendungen! Vor den Gerichten und in den Gefängnissen hat er offenbar aufmerksamer gelernt als in einer ehrlichen Schule.«
    »Schule des Lebens, Teacock, und Sie können sich rühmen, ihm die Zulassung dazu erwirkt zu haben.«
    »Nun fangen Sie nur auch noch an, Ball, unverständliches Zeug zu reden. Ich meine, er kann mir doch keinen Strick daraus drehen, daß ich vor Gericht nichts von Booth und der 12. Klasse gesagt habe. Das hatte doch überhaupt nichts mit dem Diebstahl zu tun.«
    »Wie kommt Joe King überhaupt darauf?«
    Teacock hob überrascht seinen über die Teetasse gesenkten Kopf.
    »Ja, da haben Sie recht. Wie kommt der Bursche überhaupt darauf, jetzt, nach sieben Jahren!«
    Während dieses Gespräch in dem Haus der beiden Lehrer stattfand, verlief der Abend der Familie Booth mit einigen unerwarteten Varianten.
    Mary war aus dem Hospital entlassen worden und tat ihre Arbeit, obgleich sie der Rücken noch schmerzte. Eine Rippe war gebrochen, eine andere war angebrochen gewesen. Harold arbeitete ebenfalls, nicht mit großer Freude, aber mit jener Intensität, die die väterliche Strenge ihm nahelegte. Die Prügelei zwischen seinen Kindern hatte den Zorn des alten Isaac in einem solchen Maße hervorgerufen, daß die Luft sich seitdem dick anfühlte. Niemand hatte ein Interesse daran, daß nochmals ein familiärer Wirbelsturm auftrat, am wenigsten Mutter Booth, die sich umherdrückte wie ein Mann zwischen Zaun und Pferd. So war eben jener Abend herangekommen.
    Familie Booth fand sich am Eßtisch zusammen. Es gab auch hier nicht alle Tage Fleisch oder Wurst. Mutter Booth hatte Mehl in siedendes Schmalz geworfen und teilte jetzt die Schmalznudeln auf die Teller aus. Die Mahlzeit wurde schweigend eingenommen. Vater Booth liebte keine Gespräche bei Tisch. Seit dem großen Familienzwist fühlte auch keiner Verlangen nach einer Unterhaltung. Zudem war es gewiß, daß man zum Winter Vieh schlachten mußte, da das Feuer zu viele Wiesen zerstört hatte.
    Als abgegessen war und Harold schon den Tisch verlassen wollte, sagte der Vater wie nebenbei: »Den Volkswagen verkaufst du wieder. Wir brauchen Winterfutter. Für das Geld können wir ein paar Stück Vieh mehr durchfüttern.«
    Harold machte einen kleinlauten Versuch, seinen Wagen zu retten. »Verkauf doch lieber den alten, den Studebaker. Er macht es doch nicht mehr lange, und wir blamieren uns damit vor allen Leuten.«
    »Vor was für Leuten?! Der Wagen hat es zehn Jahre gemacht und macht es noch einmal zehn Jahre. Ich habe gesprochen.«
    Haralds Stimmung sank auf den Nullpunkt.
    Da hörte man ein Klopfen an der Tür, und als Vater Isaac sein »Hallo« gerufen hatte, trat Joe King ein.
    Isaac saß auf seinem Stuhl wie ein Patriarch.
    Harold war aufgestanden. Er dachte an die falschen Aussagen, mit denen er Stonehorn fast zu Tode gebracht hatte, und suchte zu ergründen, welche Waffen sein Nachbar und Feind jetzt bei sich führte, im Gürtel, im Stiefel oder unter der Jacke. Der unerwartete Gast, der sich der Wirkung seines Erscheinens wohl bewußt war, blieb zwischen Tür und Tisch stehen und sagte: »Harold, du Kojot und Lügner! Bis Ostern wirst du gestanden und zu Protokoll gegeben haben, daß du den Umschlag mit den Dollars, den du im Auftrag von Mister Teacock aus dem Lehrertisch der 12. Klasse in das Schiebfach des Lehrertisches der 7. Klasse bringen solltest, auf meinen Platz in der 7. Klasse geschmuggelt hast. Mein Platz war dir wohlbekannt, denn es lag da ein Federhalter mit meinen Kerben. Das wußte die ganze Schule, und du wußtest es auch. – Ich warte also bis Ostern, länger warte ich nicht. Ich habe gesprochen hau.«
    Joe King machte kehrt, um zur Tür zurückzugehen. Er wandte dabei Harold den Rücken. Booth hatte keine Schußwaffe zur Hand. Aber die Wut und die Angst vor dem Verlust all seines Ansehens oder seines Lebens trieben ihn zur Verrücktheit, und er warf Stonehorn ein Messer nach.
    Stonehorn hatte mit einem Angriff im Rücken gerechnet und an der Tür schon jene Wendung gemacht, die ihm erlaubte

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