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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Körper und deine Nerven jetzt sind. Ich habe gesprochen, hau.«
    Stonehorn blieb eine Weile still; schließlich sagte er: »Ich gehorche dir. Dann habe ich Zeit, etwas zu lernen. Queenie, du bringst mir ein Buch mit. Ich will nicht immer Angst haben, daß ich ein Wort falsch schreibe; das ist mir ekelhaft. Wo hast du schreiben gelernt, Harry Okute? Doch sicher nicht in einer Schule?«
    »Du wirst lachen: bei einem Zirkusclown und einem Ingenieur. Später noch einmal mit meinen Kindern.«
    »Ich muß eher über mich selbst lachen, darum, daß ich noch nicht ohne Fehler schreiben kann.«
     
    Das große Bild »Tanz in der Nacht« war fast vollendet. Die Arbeit war schwer gewesen, da Queenie kein Atelier zur Verfügung hatte und die Tage kürzer und kürzer wurden. Aber sie meinte, es nun geschafft zu haben. Schwarz-braun-blau leuchtete die Leinwand als Erde und Himmel, die Schatten tanzten, und das gelbe Feuer der Fackeln durchbrach die Finsternis.
    Queenie hatte dieses Bild noch niemand anderen sehen lassen als Stonehorn und Okute.
    Ihre Gedanken aber kehrten nach der Vollendung des Bildes ganz in das wirkliche Leben zurück, in den Tag, in dem doch auch alle Geheimnisse beschlossen waren.
    Zunächst erwachte ihre besondere Hilfsbereitschaft für einen Sitzenbleiber in ihrer eigenen Klasse. Er hatte in früheren Jahren schon einmal wiederholen müssen und machte die 12. Klasse nun zum zweitenmal. Er hatte einen runden Kopf, sprach langsam und etwas schwerfällig, begriff nicht rasch, aber was er einmal begriffen hatte, das saß. Die englische Sprache machte ihm noch immer Schwierigkeiten. Bob Thunderstorm wohnte im Internat; seine Mutter war dort Küchenhilfe, Queenie blieb dreimal in der Woche nachmittags eine Stunde länger da und wiederholte mit dem Burschen, wofür er auf eine rührende Weise dankbar war. Eine Betreuerin im Internat, die das Baccalaureat und zwei Jahre College hatte, freute sich an Queenies Eifer und kam hin und wieder, um mitzumachen und dabei noch zwei Schüler mitzubringen, die auch mit Schwierigkeiten kämpften. Allmählich sammelte sich ein Kreis von sechs Schülern, die regelmäßig an dem Zirkel teilnahmen. Queenie brachte die Aufgaben, die dabei gelöst wurden, nach Hause und besprach sie auch mit ihrem Mann, der die größten Wissenslücken, aber ein gutes Gedächtnis und eine hervorstechende Fähigkeit besaß, Denkaufgaben zu lösen. Dadurch fühlte er sich angeeifert und machte als Externer mit, noch neben seinen Rechtschreibübungen.
    Zu den schwierigsten Denk- und Sprachaufgaben für Indianer gehörte die Abstraktion, die sie in ihrem stammeseigenen Denken und Sprechen erst in den Anfängen, in der Symbolsprache entwickelt hatten. Die abstrakten Begriffe machten nicht nur den Unterricht in der englischen Sprache, sondern auch in vielen anderen Fächern schwer. Man sprach im Zirkel englisch.
    »Was ist das: ›one‹?« Queenie stellte die Frage, als Bob und Yvonne einmal im Zelte zu Gast waren und Okute sich ebenfalls als Zuhörer eingefunden hatte.
    »Something.«
    »Folk, people.«
    »Nun gut«, knüpfte Queenie an, »lassen wir das something, das ›etwas‹ einmal beiseite, weil es leichter zu verstehen ist, und gehen wir an das ›man‹, an die ›Leute‹ heran. Ich frage weiter, was ist das?«
    »Man? Im Leben: alle und keiner«, antwortete Stonehorn. »Sie flüstern, man flüstert, sie haben eine Meinung, man hat eine Meinung, sie bewundern, man bewundert, sie verdammen, man verdammt. Aber wenn du einen einzigen Menschen aus Fleisch und Blut stellst und fragst, so ist er es nicht gewesen, er hat weder geflüstert noch gemeint, noch bewundert, noch verdammt. Aber drehe nur den Rücken, so ist es wieder da, das ›man‹. Man, das sind Figuren ohne Namen und ohne Gesicht. Es ist eine Erfindung aus der Lebensweise der Watschitschun. Bei unseren Vorfahren war ein Wort ein Wort und ein Mann ein Mann, richtig oder falsch, aber sie standen dazu, und alle wußten, wie sie mit jedem dran waren.«
    »Man ist also ein feiger Mann«, murmelte Bob vor sich hin.
    »Was heißt feige?« bohrte Stonehorn. »Zehn gegen einen – und schon ist es nicht feige, sondern bewundernswert, wenn der eine wenigstens entkommt.«
    »Du hast dich aber nicht gedrückt, Stonehorn!«
    »Nein, weil es nicht um mich ging, sondern um die andern.«
    »Das heißt tapfer sein.«
    »Wäre ich allein gewesen, so war das gleiche Verhalten einfach dumm.«
    »Das sagst du. Was sagen die Leute?«
    »Vielleicht, daß ich

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