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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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umbringen. Ich weiß ja nicht, was ihr da in der letzten Stunde noch miteinander gesprochen habt. Aber es ist sicher, daß du ihm nicht zu willen warst. Und tot ist tot.«
    »Du sprichst, wie unsere Väter gesprochen hätten.«
    »Kann sein, Queenie, obgleich ich ein Viertel weißes Blut in den Adern habe, und du hast das nicht. Aber du warst auf der Kunstschule, und ich arbeite mit der Prärie und den Tieren, da wird man anders.«
    »Kommst du einmal zu uns, Mary? Joe sagte, du wolltest einmal zu uns kommen.«
    »Es hat sich nun auch so gemacht. Joe kam zu mir herunter.« Über Queenies Miene lief ein Schatten. »Du wärst für Joe eine bessere Frau gewesen als ich.«
    »Queenie, ich habe nicht gesagt, daß ich nicht zu euch hinüberkommen will. Aber ich dachte, es ist dir lieber so. Du bist Joes Frau.«
    Queenie wurde es heiß. »Es ist mir nicht lieber so. Kommst du Weihnachten herauf?«
    »Weihnachten? Da störe ich euch.«
    »Wen?«
    »Wen? Euch. Ja, ich meine, ich störe euch.«
    »Mich nicht, Mary. Bitte komm. Ich bin allein.«
    »Ich kann auch mit meinen Schweinen feiern und mit deinen Kaninchen, denen es bei mir gut geht. – Ich meine – nein, nicht, was du denkst. An den Baum kommt Harold nicht heran. Der Baum ist heilig. Das war er immer.«
    »Kommst du, wenn der Baum da ist?«
    »Wenn du nicht nachgibst… also, ich komme.«
    Queenie ging einen Tag vor Weihnachten in die Gehölze und suchte einen kleinen Fichtenbaum. Da auf dem trockenen Boden nur Kiefern wuchsen, fand sie keinen, war traurig darüber und begnügte sich schließlich mit einer jungen Kiefer.
    Der Baum, der auch Mittelpunkt des großen Sonnentanzes im Sommer war, galt schon seit uralter Zeit bei Queenies Vorfahren als heilig, und die Sitte, Weihnachten einen Baum mit Licht zu schmücken, hatte sich daher rasch und allgemein bei den Indianern eingebürgert.
    Am Abend des Weihnachtstages kam Mary.
    Sie hatte ein Geschenk mitgebracht, ein altes Erbstück von Isaacs Großvater, einen blaugefärbten Brustpanzer, der aus hohlen Stäben bestand. Queenie hatte ein Gegengeschenk bereit, eine von ihr selbst gearbeitete Kette für Mary.
    Die beiden Frauen saßen zusammen. Queenie schaltete das elektrische Licht aus und zündete die Kerzen an. Dabei liefen ihr die Tränen herunter, sie konnte es nicht verhindern. Mary fragte nichts.
    Im Kerzenschein wirkte die Stube wie ehedem. Queenie dachte an den alten King und die zerbrochene Lampe und an vieles, was dann gekommen war. Sie hatte die Tränen abgewischt, und so mochte es scheinen, daß ihr nur bei dem träumerischen Kerzenlicht rührselig zumute geworden war. Aber Mary sah, daß weder Joe noch Okute kamen. Sie fragte nichts. Der blaue Brustpanzer blieb unberührt auf dem Tisch liegen.
    Die Frauen blieben schweigend beisammen, eine Stunde, zwei Stunden. Die Kerzen brannten herunter, Queenie steckte noch einmal neue auf, die wieder in stillen Flammen zergingen. Als sie verlöscht waren, stand Mary auf. Sie ging auf Queenie zu und schloß sie in die Arme.
    »Nun ist Harolds Geist fort«, sagte sie. »Du kannst ruhig schlafen.«
    Queenie brachte Mary bis zu dem Furchenweg. Am Himmel leuchteten die Sterne, der Schnee flimmerte in ihrem Licht. Queenie ging noch hinüber zu dem Friedhof und zu allen Gräbern, von denen sie etwas wußte: zu dem alten King, zu der Mutter Tashunka-witkos, und zuletzt ging sie auch noch zu dem Grabe des Harold Booth und sagte: »Ich kann dir den Frieden nicht geben, du mußt mit deiner Schuld zu Wakantanka gehen.«
    Ehe sie den Friedhof verließ, schaute sie lange hinüber zu den weißen Felsen. Sie fand Ruhe.
    Auch in dem Zelt, das dem Hause nahe war, hatten zwei Menschen den Abend zusammen verbracht, Okute und Stonehorn. Auch sie hatten schweigend zusammengesessen. Sie hatten gegessen und geraucht und dann in die Funken zwischen dem gedeckten Feuer geschaut. Einen Baum hatten sie sich nicht geholt. Okute träumte in sich hinein. Nach Stunden brach er das Schweigen und stieß mit seinen Worten in die Mitte des ungelösten Konflikts zwischen Joe und seiner jungen Frau. »Du hast Queenie überschätzt, mein Sohn. Dafür kann sie nichts.«
    Joe fuhr auf. »Wenn sie unter Foltern ausgesagt hätte! Niemand würde eine Frau darum schmähen.«
    »Weißt du, Stonehorn, was für sie Folter war?«
    »Daß sie nicht schwätzen sollte. Ja.«
    »Wir pflegten solche Dinge früher auch nicht vor den Ohren der Frauen zu besprechen.«
    Stonehorn wurde blaß.
    »Heute wachsen die Mädchen

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