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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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anders heran«, fuhr Okute ruhig fort, »aber dies war eine Sache alter Tradition. Du hast Queenie zuviel zugemutet. Sie hat Harold getötet, das war fast über ihre Kraft. Sie hat vorher viel durchgestanden, das kannst du nicht leugnen. Nun noch zwei unbekannte Leichen dazu, wenn auch in Notwehr…« Okute zog eine seiner Grimassen. »Für sie ist das eben etwas anderes als Arbeit.«
    Stonehorn war aufgestanden.
    »Okute! Hältst auch du mich noch immer für einen Gangster? Du brauchst es nur zu sagen.«
    »Ich sage es nicht, Inya-he-yukan, weil es nicht die Wahrheit wäre. Du warst überhaupt nie das, was die meisten weißen Gangster sind. Sie suchen ihren Gewinn auf ihre Art, du wolltest auf deine Art gegen die kämpfen, die zu deinen Feinden geworden waren. Ich war ein Kriegshäuptling, als ich jung war, und ich habe Feinde getötet, wie ich Büffel gejagt habe. Das war meine Arbeit; jedermann im Stamm erwartete von mir, daß ich sie gut und wirksam tat. Ich kann verstehen, wie du sprichst, aber sie versteht es nicht, und du mußt mit ihr sprechen, wie sie es begreifen kann. Setze dich wieder zu mir. Ich bin alt, und du bist mein Sohn.«
    Stonehorn ließ sich langsam wieder an seinem gewohnten Platz auf dem Bärenfell nieder. »Du hast noch nie erzählt, Okute.«
    »Ich habe noch ein paar Monate Zeit. Aber warum sollst du nicht wissen, daß ich als junger Mann ein Kriegshäuptling war? Damals, als die Eisenbahnen gebaut und als Gold gefunden wurde. Sie haben uns unser Land geraubt. Ich habe gekämpft, obgleich ich wußte, daß es vergeblich sein würde. Sie haben mich verraten und gefangen. Als alles verloren schien, ließen sie mich wieder frei. Ich habe Tashunka-witko noch einmal gesehen. Er gab mir seine Pfeife. Wir sind dann hinaufgezogen nach Canada. Die großen Scharen Tatanka-yotankas mußten zurückkehren, weil der Hunger sie bezwang. Wir waren ein kleines Häuflein, wir hatten etwas Gold und viele Pferde. So haben wir angefangen zu arbeiten, nicht mehr als Jäger, sondern als Züchter, aber nicht auf einer Reservation, sondern auf freiem Land. Du mußt einmal mit Queenie kommen und mußt dir das ansehen.«
    »Glaubst du daran?«
    »Ja. Du bist mein Sohn. Meinen leiblichen Sohn hat mein Falbhengst getötet, als das Kind zehn Jahre alt war.«
    Von diesem Abend an wartete Stonehorn auf eine Stunde, in der er wieder mit seiner Frau sprechen konnte. Er vermochte sie noch nicht zu finden.
    Eines Sonntags, als die Schneedecke schon grau wurde und Queenie bei Mary vor dem Kaninchenstall in der Sonne saß, abwesend, mit schmal gewordenen Lippen, bemerkte Mary, so trocken wie je: »Wie lange wollt ihr es noch so treiben? Bis die ganze Reservation darüber spricht? Wenn ihr euch nicht mehr leiden könnt, so nehmt euch wenigstens zusammen. Das Frühjahr kommt, die Büffel kommen, dein Kind kommt. Sollen Hawley und Shaw und Haverman, Jimmy und Bill Temple sich das Maul zerreißen und sagen: Jetzt hat Queenie ihren Gangster doch noch satt bekommen? Je mehr ihr gegeneinander schweigt, desto mehr plaudert euer Schweigen aus!«
    »Ich kann nicht das erste Wort sagen«, wiederholte Queenie beharrlich in den Gedanken, aus denen sie Tag für Tag eine immer dickere Fessel für sich selbst spann. »Dann lächelt er nur sein verachtendes Lächeln.«
     

Die Büffel kommen wieder
     
    Queenie erhielt eine schriftliche Vorladung vor das Stammesgericht. Sie sprach zu Hause mit niemandem über das Schreiben, obgleich es sie tief beunruhigte. In dem Haus, das zu ihrer Einsiedlerklause geworden war, aß sie zu Abend, nicht viel, da sie das gute Mittagessen in der Schule hatte, legte sich früh zu Bett und lag mit offenen Augen im Dunkeln.
    Morgens machte sie sich zur üblichen Zeit auf, aber Stonehorn und Okute bemerkten wohl, daß sie nicht zur Schule, sondern zur Agentur fuhr. Die Beunruhigung, die das Schreiben bei Queenie hervorgerufen hatte, setzte sich auf diese Weise in den beiden Männern fort, wie Staub, vom Windstoß einmal aufgehoben, sich ausbreitet. Queenie kam punkt neun Uhr vor dem Gerichtsgebäude an und wurde gleich bei Ed Crazy Eagle vorgelassen. Runzelmann saß bei dem Blinden, bereit, zu protokollieren.
    »Missis Queenie King?«
    »Ja.«
    »Uns von Person bekannt. Wir haben einige Fragen über Ihren Mann, die Sie uns beantworten können, wenn Sie wollen. Sie können die Aussage aber auch verweigern.«
    »Fragen Sie.«
    »Wie oft war Ihr Mann in den letzten Monaten betrunken?«
    »Nicht ein einziges Mal.«
    »Was

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