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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Queenie arbeitete in der Küche, Mary im Zelt. Einige Familien lagerten schon auf der Wiese vor dem Haus. Es war Sonnabend. Alle hatten Zeit. Gemeinsam Fleisch zu essen war uralte, gute Sitte des einstigen Jägervolkes.
    Während sich die Zuschauer des kommenden Ereignisses sammelten, waren die Tiere und die Männer, um die es ging, auf der Straße von New City zur Reservation mit den großen motorisierten Viehtransportwagen unterwegs. Der Büffelbulle, das Prachtstück des neuen Zuchtstammes, befand sich in seinem hohen Käfig auf Rädern, der von einem Traktor gezogen wurde. Vier Lastwagen mit je einer Büffelkuh folgten. Stonehorn, Okute, der junge Goodman, der in nüchternem Zustand einer der unerschrockensten Indian-Cowboys war, und zwei der Cowboys der Büffelranch, die die Tiere kannten, fuhren mit. Die Männer waren alle in Cowboykleidung, mit schweren Peitschen, elektrisch geladenen Stöcken, Lassos und Schußwaffen versehen. Das Einladen der Tiere in die Wagen war kein Spaß gewesen. Der Bulle hatte sein fahrbares Gefängnis immer wieder schlau umgangen, und als Okute ihn überlistete und in den Käfig hinauftrieb, wollte das Tier mit Gewalt nach vorn durchbrechen. Einer der alten Ranch-Cowboys und Stonehorn wehrten den massiven Angriff auf die Vorderwand mit ihren schußartig knallenden Peitschen ab. Jetzt stand der dunkelbehaarte Bursche angefesselt im Gehäuse. Seine Lage behagte ihm durchaus nicht, und er hatte Zeit, seinen Ärger in sich aufzuspeichern.
    Die Cowboys saßen bei den Fahrern. Okute begleitete den Bullenwagen mit seinem Sportcoupe, in dem er Stonehorn mitgenommen hatte. Als die Kolonne durch die Agentursiedlung fuhr, stand alles an den Fenstern und vor den Türen.
    Die Wagen bogen in die Straße zum Tal der weißen Felsen ein. Hier wehte der Wind noch schärfer, da ihm das Tal offenstand.
    Sobald für die Ankommenden das Haus der Kings im Gesichtskreis auftauchte und die dort Wartenden die Kolonne entdeckten, kam mit dem Wind das vielstimmige Begrüßungsgeschrei. Tatanka, Tatanka, Büffel, Büffel!
    Mit den Büffeln hatten die Indianer der Prärie gelebt; mit den Büffeln hatten sie sterben sollen. Die Büffel und die Toten kehren zurück – mit diesem Ruf und Gedanken hatten die Unterlegenen getanzt, mit diesem Ruf und Gedanken waren sie unter den Kugeln der Karabiner gefallen, Männer, Frauen und Kinder.
    Büffel kamen wieder. Den Alten standen die Tränen in den Augen, die Jungen juckte es vor Aufregung. Manche von ihnen hatten noch nie einen Büffel gesehen.
    Die Wagenkolonne fuhr in die Wiesen der Booth-Ranch ein. Es gab einen Feldweg, der ein Stück weit in die Wiesen hinaus zu den Berghängen abseits der Straße führte. Diesen Feldweg mußten die Wagen bis zu seinem Ende benutzen. Die großen Reifen trugen über Furchen und Gras.
    Halt! Die Motoren wurden alle abgestellt. Die Wagen wahrten einen erheblichen Abstand voneinander. Die Fahrer blieben sitzen. Die Cowboys sprangen ab. Stonehorn hatte dafür gesorgt, daß drei weitere Helfer und die Pferde für alle bereitstanden.
    »Erst die Kühe«, sagte der Senior-Cowboy der Büffelranch, aus der die Tiere kamen. Er öffnete mit Alex Goodman zusammen den ersten Schlag und legte die Rampe an. Goodman sprang in den Wagen, um das Tier zu treiben, eine gefährliche Aufgabe, die er aber geschickt löste. Der Senior half. Das Tier war gutwillig, jung und gelenkig. Sobald es die Rampe unter den Hufen fühlte, sprang es schnell herab, galoppierte einige Sätze und blieb dann verwundert stehen. Es streckte den Kopf und brüllte, und das war das erste Büffelbrüllen am Fuße der weißen Felsen seit nahezu neunzig Jahren. Davor aber hatten Jahrtausende hindurch die Büffel diese Prärie beherrscht.
    Manchem Alten ging das Herz schneller, als er den fast vergessenen Ton wieder hörte. Queenie stand neben ihrer Großmutter, die es sich nicht hatte nehmen lassen, zu diesem Tag zu kommen. Auf einmal erklang ein Büffelbrüllen von der Talseite des Hauses der Kings. Alle fuhren auf, alle lauschten. Okute und Stonehorn standen bei dem Bullenwagen.
    »Verdammt«, fluchte Okute; dieses Wort hatte er schon mit vierzehn Jahren bei den Erbauern der Union Pacific gelernt und es nie wieder gegessen. Er erkannte das Büffelbrüllen vom jenseitigen Talhang als den dumpfen drohenden Büffeljagdruf seines Stammes. Der Bulle in seinem Käfig hatte aufgehorcht. Sein aufgespeicherter Ärger über die Fahrt, die er hatte machen müssen, setzte sich in eine blinde

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