Nacht über Eden
einer Tablette zurück. Widerstrebend nahm ich sie und spülte sie hinunter. Dann sank ich zurück in die Kissen. Tony zog meine Decke zurecht und schaltete das Licht so, daß nur noch ein matter Schimmer den Raum erhellte. Dann kam er wieder an mein Bett und nahm meine Hand.
»Hast du es bequem?« fragte er.
»Ja.« Meine Stimme klang dünn. Ich wünschte mir so sehr, die Hand, die ich spürte, wäre Daddys Hand.
»Dann ist es gut«, sagte Tony. »Ich werde jetzt immer für dich da sein; du brauchst mich nur zu rufen. Ich werde auf dein Rufen warten, Annie, und so schnell kommen, wie ich kann.«
»Aber du kannst mir doch nicht deine ganze Zeit opfern, Tony. Du hast schließlich noch ein Geschäft, um das du dich kümmern mußt.«
»Oh, wegen des Geschäfts brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Es läuft von ganz allein, und ich habe kompetente Leute, die sich darum kümmern – vor allem auch Drake. Du darfst nie glauben, daß du eine Last für mich bist«, fügte er hinzu und tätschelte meine Hand.
»Wirst du morgen eine neue Krankenschwester einstellen?«
»Ich werde morgen früh gleich als erstes die Agentur anrufen«, versicherte er mir. »Schlaf gut.« Er beugte sich zu mir hinunter und küßte meine Wange. Diesmal verweilten seine Lippen sehr lange auf meiner Haut, und er umfaßte meine Schulter, so als wollte er mich nie mehr wieder loslassen. »Gute Nacht«, flüsterte er.
»Gute Nacht, Tony«, sagte ich und sah ihm nach, als er so leise hinausging wie einer von Rye Whiskeys Geistern. An der Tür drehte er das Licht aus, und Dunkelheit umfing mich.
Trotz der Schlaftablette war ich zu aufgeregt, um gleich einzuschlafen. Immer wieder versuchte ich, meine Zehen zu bewegen und glaubte schließlich, das bereits vertraute Kribbeln in meinen Füßen zu spüren. Mir kam der Gedanke, daß ich mich gar nicht so sehr von einem neugeborenen Baby unterschied, das seine Glieder und überhaupt seinen eigenen Körper entdeckte. Jede winzige Bewegung, jede Empfindung war wie ein kleines Wunder. Oh, wie sehr wünschte ich mir, ich könnte diese Wiederbelebung meines Körpers mit jemandem erleben! Wie wunderbar wäre es, wenn Luke jetzt bei mir wäre! Er würde mich umarmen und an sich drücken, mich küssen und mein Haar streicheln. Bei dem Gedanken daran bebte ich vor Erregung. O Luke, rief ich in Gedanken aus, ist es denn wirklich eine Sünde, daß ich so etwas denke?
Endlich tat die Schlaftablette, die Tony mir gegeben hatte, ihre Wirkung. Meine Augenlider wurden immer schwerer, bis ich sie kaum mehr offenhalten konnte. So schloß ich sie, und das nächste, woran ich mich erinnern konnte war, daß mir die Sonne ins Gesicht schien und Tony dabei war, die Vorhänge zu öffnen. Er hatte noch seinen Morgenrock und seine Hausschuhe an, war aber bereits rasiert. Der ganze Raum war vom Geruch seines Aftershave erfüllt.
Mein erster, angstvoller Gedanke war, ich könnte womöglich alles nur geträumt haben; die Empfindung in meinen Beinen und meine erfolgreichen Versuche aufzustehen. Ich konzentrierte mich ganz stark darauf meine Beine zu bewegen und – sieh da! – diesmal beugten sich meine Knie ein wenig.
»Tony!« schrie ich. Er wirbelte herum, als hätte ich ihm einen Schlag ins Genick versetzt. »Meine Beine… ich kann sie jetzt viel leichter bewegen, und ich habe auch viel mehr Gefühl in ihnen.«
Er nickte nur, öffnete die letzten Vorhänge und eilte dann geschäftig im Zimmer umher, um alles vorzubereiten, damit ich mich waschen und anziehen konnte.
»Das solltest du heute anziehen, Annie«, sagte er und nahm eines von Mammis ehemaligen Kleidern aus dem Schrank.
Seine Augen glänzten. »Du siehst wunderschön darin aus.«
»Ich hatte es noch nie an, Tony.«
»Dann solltest du es jetzt anziehen. Du wirst wunderschön darin aussehen. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Es war ein langes, leichtes, blaues Baumwollkleid mit gerafften Ärmeln und einem großen bestickten Kragen. Ich fand es ziemlich unpassend. Ein solches Kleid zog man vielleicht an, wenn man zu einer Teeparty ging, aber nicht, wenn man untätig in seinem Zimmer herumsaß.
»Ich kann mir meine Kleider selbst aussuchen, Tony. Du brauchst dich nicht darum zu kümmern«, sagte ich. Ich war mir sicher, daß ich an diesem Morgen nicht mehr so viel Hilfe wie gewöhnlich brauchen würde. Um dies zu beweisen, setzte ich mich auf, zog meine Beine vorsichtig unter der Bettdecke hervor und ließ sie über den Bettrand baumeln.
»Was machst du da?«
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