Nacht über Eden
gleich tun.«
»Laß noch einige Tage verstreichen, Annie. Wir sollten nicht voreilig handeln. Du mußt dir wirklich ganz sicher sein, daß es die richtige Entscheidung ist, aber… wenn das der Fall sein sollte, dann helfe ich Dir, das verspreche ich.«
Er küßte mich sanft auf die Wange und umarmte mich kurz.
Dann sprang er auf, als würde in seinem geschäftstüchtigen Gehirn ein Summton ertönen, der ihn zum Aufbruch mahnte.
»Ich muß zum Flughafen. Sonst verpasse ich noch mein Flugzeug.«
»Aber Drake, ich dachte, du würdest mich wenigstens hinunterbringen, damit ich mit Luke telefonieren kann.«
»Es hat doch wirklich keinen Sinn, ihn wieder und wieder anzurufen. Er wird schon kommen, wenn er Lust dazu hat.«
»Drake, bitte«, bettelte ich; ja ich flehte ihn an, denn ich wollte, daß er endlich verstand, wie wichtig es mir damit war.
Er starrte einen Moment lang auf mich herunter und nickte dann. »Ich werde mit Tony reden, bevor ich gehe. Er wird das sicher übernehmen.«
»Aber Drake – «
»Halt die Ohren steif, Annie. Es wird sich alles wieder einrenken. Du wirst schon sehen. Immerhin hast du wieder angefangen zu malen«, sagte er, wobei er auf die Staffelei deutete. Er warf jedoch nicht einen einzigen Blick auf mein Bild, sondern lächelte nur kurz wie ein Roboter in einem Science-fiction-Film und winkte mir zerstreut zu. Dann sah er zu, daß er schnell aus dem Zimmer kam. Offensichtlich hatte er Angst, ich würde weiterhin auf etwas bestehen, das ihm Schwierigkeiten mit Tony einbringen könnte. Ich war furchtbar enttäuscht von ihm. Drake, der Onkel, der für mich immer wie ein großer Bruder war, verhielt sich jetzt beinahe wie ein Fremder!
Nun war ich wieder allein in der unheilvollen Stille, die mir meine Hilflosigkeit noch deutlicher zu Bewußtsein brachte. Ich fuhr durch mein Wohnzimmer und öffnete die Tür zum Flur.
Über den Korridor gelangte ich zur Treppe. Als ich hinunterblickte, konnte ich niemanden entdecken. Mein zweiter Rollstuhl jedoch stand genau am unteren Ende des Aufzugs, wie Tony es mir beschrieben hatte. Ich löste die Armlehne des Rollstuhls und stellte sie auf, so daß ich mich in den Aufzug hinüberziehen konnte, genau so, wie Tony und der Techniker es mir gezeigt hatten. Als ich sicher in dem Aufzugsstuhl saß und der Sicherheitsgurt eingerastet war, drückte ich auf den Abwärts-Knopf und begann hinunterzufahren. Mein Herz pochte stürmisch aber ich war fest entschlossen, meiner Gefangenschaft ein Ende zu bereiten.
Der Fahrstuhl hielt, und ich schaffte es, in den wartenden Rollstuhl zu rutschen. Durch diesen ersten Erfolg ermutigt, fuhr ich über den Flurteppich zu Tonys Arbeitszimmer.
Die Bürotür stand einen Spalt offen. Ich blieb stehen und stieß sie auf. Nur eine kleine Schreibtischlampe brannte; ansonsten war es in dem Raum ziemlich dunkel, denn die Vorhänge waren zugezogen und sperrten die Nachmittagssonne aus.
Ich sah mich um. Wo war Tony hingegangen? Enttäuscht lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück; doch dann zog das Telefon auf seinem Schreibtisch meine Aufmerksamkeit auf sich.
Endlich eine Gelegenheit, selbst mit Luke zu sprechen! Ich bewegte meinen Rollstuhl zum Schreibtisch hin. Erst als ich den Hörer schon in der Hand hielt, fiel mir ein, daß ich gar nicht wußte, wie ich ihn erreichen konnte. Ich hatte seine Telefonnummer nicht. Wie hieß das Wohnheim, in dem er lebte? Drake hatte es mir nie gesagt.
Ich rief die Auskunft an und fragte nach der Nummer von Harvard. Die Angestellte am anderen Ende der Leitung schien verärgert über meine ungenauen Angaben und begann mürrisch eine Auflistung verschiedener Universitätsbehörden herunterzuleiern. Als sie die Wohnheimverwaltung erwähnte, unterbrach ich sie. Daraufhin hörte ich eine Computerstimme, die eine Nummer nannte. Ich wählte sie, und als sich eine Frauenstimme meldete, erklärte ich kurz, was ich wollte. Die Sekretärin teilte mir mit, daß die meisten Studenten noch keine Telefone in ihren Zimmern hätten, gab mir jedoch die Nummer des Gemeinschaftstelefons auf dem Flur, auf dem sich auch Lukes Zimmer befand. Ich dankte ihr und wählte erneut.
Ein junger Mann mit Bostoner Akzent hob den Hörer ab.
»Hören Sie, ich muß unbedingt mit Luke Casteel sprechen.
Ich bin seine Cousine Annie. Es ist sehr dringend.«
»Bleiben Sie bitte einen Augenblick dran.«
Ich wartete, während ich die Tür zum Korridor beobachtete, durch die Tony jeden Augenblick kommen konnte.
Unwillkürlich
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