Nacht über Eden
wir hineingehen?« fragte ich.
»Sicher, aber meinst du nicht, daß sie dich in Farthy bereits vermissen?«
»Das ist mir gleichgültig. Ich fühle mich dort ohnehin wie eine Gefangene. Bitte, zeigen Sie mir die Hütte.«
Er rollte mich den Weg entlang zur Eingangstür, öffnete sie und schob mich hinein. Drinnen war alles voller Tatterton-Spielsachen. Sie standen auf Regalen, auf dem Kaminsims, überall. Außerdem hing da mindestens ein halbes Dutzend antiker Uhren, die alle die richtige Zeit anzeigten. Wie zur Bestätigung, daß dies alles kein Traum war, schlug die Großvateruhr in der Ecke die Stunde, und bei der kleinen, blauen Spieluhr, die aussah wie eine Miniatur der Hütte, öffnete sich die Haustür. Die winzige Familie, die drinnen wohnte, kam heraus, und dann ertönte eine sanfte, rührende Melodie, eine Melodie, die ich kannte.
Es war die gleiche Melodie, die ertönte, wenn man das Dach der Spielzeughütte in Winnerrow ein wenig hob, Chopins Nocturne. Als die Melodie zu Ende war, blickten wir einander an.
»Meine Mutter hatte eine Spielzeughütte, die genauso aussah wie diese, mit den gleichen Hecken und Bäumen. Und sie spielte die gleiche Melodie. Meine Mutter schenkte sie mir zu meinem achtzehnten Geburtstag. Sie ist so alt wie ich, und sie funktioniert noch immer. Irgend jemand hat sie ihr geschickt, als ich zur Welt gekommen bin.«
»Ja«, sagte er. Er hatte sichtlich Mühe, auch nur dieses kleine Wort auszusprechen. Er wirkte auf einmal ängstlich; seine Augen hatten sich geweitet… Dann veränderte sich seine Miene, und er sah auf einmal sehr traurig aus. Er senkte den Kopf und schien einen Moment lang tief in Gedanken versunken. Dann bemerkte er plötzlich, daß ich ihn beobachtete, und er lächelte.
Ich wandte meinen Blick schnell von ihm ab und sah mir die Hütte genauer an. Sie war anheimelnd, behaglich und warm, so wie ich mir ein Gartenhäuschen immer vorgestellt hatte.
Obwohl die Möbelstücke alt waren, sah keines von ihnen abgenutzt aus. Regale, Dielen, Vorhänge – alles wirkte gepflegt und sauber. Es war das Haus eines Menschen, der auf jede Kleinigkeit achtete. Es gab nur zwei Zimmer, und im Wohnzimmer, direkt vor dem Kamin, befand sich ein langer Tisch, auf dem kleine Metallstücke, Werkzeuge und Teile eines mittelalterlichen Miniaturdorfes lagen. Die Kirche mit Spitzdach und Glasmosaikfenstern war bereits fertig. Da war sogar ein Pastor, der am Eingang stand und die ankommenden Kirchgänger freundlich begrüßte. Außerdem gab es Geschäfte, elegante Steinhäuser und ärmliche Hütten. Die winzigen, von Pferden gezogenen Kutschen waren erst halb fertig, genauso wie manche der Gebäude und Gassen.
»Ich habe Eistee da, wenn du welchen willst.«
»Ja, bitte.« Ich lenkte meinen Rollstuhl ins Wohnzimmer hinein, um das Tatterton-Spielzeugdorf genauer zu betrachten.
»Das Dorf hier nimmt mich viel länger in Anspruch, als ich geplant habe. Immer wenn ich meine, daß ich fertig bin, fällt mir noch etwas ein, was ich unbedingt hinzufügen möchte«, erklärte er.
»Es ist so schön und sieht so echt aus! Wunderbar! Und wie ausdrucksvoll Sie die Gesichter gestaltet haben. Jede Figur ist anders.« Ich blickte auf und ertappte ihn dabei, wie er mich anstarrte, ein warmes Lächeln auf den Lippen. Schließlich wurde es auch ihm bewußt.
»Oh… der Tee. Ich bin sofort da«, sagte er und ging in die Küche. Ich lehnte mich zurück und blickte mich in der Hütte um.
»So, hier ist er«, sagte er, als er nach kurzer Zeit mit dem Eistee in der Hand zurückkam. Ich nahm ihn, trank jedoch nicht. Er versuchte, meinem Blick auszuweichen, wandte sich ab und räumte geschäftig Werkzeuge in die kleinen Nischen in der Wand.
»Sie sind der Mann, den ich von meinem Zimmer aus gesehen habe«, stellte ich fest.
»Was?«
»Ich habe Sie am Grab meiner Eltern gesehen.«
»Ich war einmal kurz dort, ja.«
»Mehr als einmal«, beharrte ich.
»Vielleicht, ja.« Ein Lächeln huschte über seine Lippen, und er setzte sich auf den Holzschemel am Kamin. Dann verschränkte er seine Hände hinter dem Kopf, streckte seine langen, schlanken Beine aus und blickte zur Decke. Jetzt, da ich sein Profil genauer betrachten konnte, erkannte ich, daß er auf seine Art sehr gut aussah. Er strahlte eine Sensibilität aus, die mich an Luke erinnerte, an den zärtlichen, einfühlsamen, poetischen Luke.
»Meine Spaziergänge sind zur Zeit die einzige Erholung, wenn ich lange gearbeitet habe. Ich kenne jeden Winkel
Weitere Kostenlose Bücher