Nacht über Eden
Fotografen gebracht.«
»Ich weiß nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Magisches Schloß.
Dieser Ort beschäftigt dich noch immer sehr, stimmt’s?«
»Ja Drake, ich kann es nicht ändern.«
Er nickte. Seine Augen waren schmal und sein Blick gedankenverloren. Ich legte das Geschenk weg, und wir gingen zu meinen Eltern, um zu meinem Geburtstagsessen aufzubrechen. Aber abends, ehe ich zu Bett ging, holte ich es wieder hervor und betrachtete es. Dabei fragte ich mich, ob Drake nicht recht hatte, sich über unser Märchenspiel lustig zu machen. Würde ich wirklich jemals einen so wunderbaren, magischen Ort finden? Ich bezweifelte es.
Einige Tage später bekam ich einen Brief von Drake. Er schrieb mir oft, um mir von seinem Leben im College zu erzählen oder mir einen Rat zu geben. Auch wenn er mich bisweilen tyrannisierte oder grausam zu Luke war, vermißte ich doch seine Klugheit, seinen Humor und sein Großer-Bruder-Gehabe. Daher freute ich mich immer sehr über seine Briefe und Anrufe. Gewöhnlich berichtete er von den Collegestudentinnen, den Studentenvereinigungen und seinen Erlebnissen in Harvard. Er erzählte von dem Bild des Ruderteams der Meisterschaftsklasse, auf dem er auch meinen Onkel Keith, Drakes Stiefbruder, einen Mann von dem wir alle nicht viel hörten und sahen, entdeckt hatte. Ich war also nicht überrascht, einen Brief von ihm zu bekommen; was mich aber erstaunte, war der Umfang.
Ich streckte mich auf meiner gestreiften Bettdecke aus und öffnete Drakes Brief.
Liebe Annie,
ich habe Neuigkeiten für Dich, die Dich interessieren werden.
Auch für mich war es sehr aufregend, aber versuche bitte, sie vor Heaven geheimzuhalten.
Nach Deinem wunderbaren Geburtstagsfest habe ich den ganzen Rückweg über die Faszination von Farthinggale Manor nachgedacht und über die Art, wie Luke und Du es Euch von klein auf als etwas Phantastisches vorgestellt habt. Ich kam zu dem Schluß, daß der einzige Grund für Euer albernes Benehmen darin liegt, daß Ihr, ebenso wie ich, kaum etwas darüber oder über den mysteriösen Tony Tatterton, meinen Stiefgroßonkel und Deinen Stiefurgroßvater, wißt. So habe ich etwas getan, worüber sich Heaven sicher sehr aufregen würde, aber es schien mir der einzig gangbare Weg zu sein.
Annie, ich habe einen Brief an Tony Tatterton geschrieben, mich vorgestellt und angefragt, ob ich ihn besuchen könnte.
Er konnte ihn erst wenige Minuten zuvor erhalten haben, als ich einen Anruf von einem Mann mit einer sehr vornehm klingenden Stimme bekam, der mich nach Farthinggale Manor einlud. Der Mann war Tony Tatterton, und ich habe seine Einladung angenommen.
Ja, Annie, ich bin gerade aus Deinem magischen Königreich zurückgekommen und habe Dir einige traurige, ja tragische und doch faszinierende Neuigkeiten mitzuteilen.
Zuerst muß ich sagen, daß es wirklich ein sehr großer Besitz ist. Und auch das schmiedeeiserne Tor ist da. Oh, es ist nicht ganz so riesig, wie Ihr beide es Euch immer vorgestellt habt, aber doch recht groß.
Aber das ist auch das einzige, was an Euren Phantastereien stimmt. Glaub mir, ich sage das nicht, weil ich mich oft über Luke und Dich lustig gemacht habe, wenn Ihr behauptet habt, Farthinggale sei ein magisches Schloß. Jetzt hat es absolut nichts Magisches mehr, sondern nur etwas Tragisches.
Die großen Türen quietschten, als sie geöffnet wurden. Ein Butler, alt wie Methusalem, begrüßte mich, und ich betrat das Haus. Die Eingangshalle erschien mir ebenso riesig wie die Turnhalle des Gymnasiums von Winnerrow, aber sie war nur spärlich erleuchtet, und überall waren die Vorhänge zugezogen, so daß ich fröstelte.
Die hohe Marmortreppe weckte einige
Kindheitserinnerungen in mir. Der Butler führte mich zu einem Büro auf der rechten Seite der Halle, und dort traf ich unseren Tony Tatterton. Er saß hinter einem großen Mahagonischreibtisch, auf dem nur eine einzige kleine Lampe brannte, um den Raum zu erhellen. Im Schatten des dunklen Zimmers wirkte er ganz verloren, doch als er mich erblickte, stand er schnell auf und befahl dem Butler, die Vorhänge zu öffnen.
Auch wenn er absolut nicht meiner Vorstellung von einem Multimillionär entsprach, wirkte er warmherzig und intelligent auf mich. Er hat sich sehr für meine Karriere interessiert, und als er hörte, daß ich Wirtschaftswissenschaften studiere, hat er mir sofort die Möglichkeit angeboten, in seinem Unternehmen zu arbeiten. Kannst Du Dir das vorstellen?
Natürlich ging es bei unserer
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