Nacht über Eden
Unterhaltung vor allem um Deine Mutter und um Dich. Er wollte alles über Euch erfahren.
Am Ende war ich ziemlich traurig, denn er wirkte so verlassen und einsam in dem riesigen Haus, so begierig nach allem, was ich ihm über die Familie erzählen konnte.
Natürlich kamen wir nicht auf die Gründe zu sprechen, warum Heaven den Kontakt zu ihm abgebrochen hat, aber ich will Dir eines sagen: Nachdem ich eine Weile mit Tony Tatterton auf Farthinggale Manor verbracht habe, wünsche ich mir, daß sich diese Kluft zwischen ihnen irgendwie überbrücken ließe.
Wenn ich Dich sehe, werde ich Dir Genaueres erzählen.
Wenigstens wirst Du nun, was Farthinggale Manor betrifft, nicht mehr nur von Lukes und Deiner Phantasie abhängig sein.
Du hast einen Zeugen, der Dir die Wahrheit erzählen wird.
Vielleicht hast Du dann keine Lust mehr, es weiterhin zu malen, aber es wäre bestimmt ein Vorteil, denn dann könntest Du Dich fröhlicheren Motiven zuwenden.
Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen.
In Liebe, Drake.
Ich ließ den Brief sinken. Aus irgendeinem Grund war ich in Tränen ausgebrochen, Tränen, die ich nicht bemerkt hatte, die jedoch die ganze Zeit, während ich las, über meine Wangen geflossen waren. Drakes Beschreibung von Farthy und Tony Tatterton hatte mich tief bewegt. Es war, als hätte ich den Nachruf auf einen guten Freund gelesen.
Drake wollte mir nicht wehtun, dessen war ich mir sicher. Er hatte mir nur einen Gefallen tun wollen. Doch damit hatte er den Vorhang heruntergerissen und meine Phantasien, Illusionen und Kindheitsträume zerstört. Ich fühlte mich leer und traurig.
Mehr denn je wünschte ich mir, zu erfahren, warum meine Mutter aus Farthinggale geflohen war und den vornehmen älteren Herrn allein in diesen riesigen Räumen voller düsterer Schatten zurückgelassen hatte. Vergeblich kämpfte ich gegen meine Tränen an. Mein Weinen wurde immer heftiger, bis ich schließlich schluchzte wie ein Baby. Völlig erschöpft schlief ich schließlich mit Drakes Brief in der Hand ein und erwachte erst wieder, als das Telefon läutete.
Ich war so glücklich, Lukes Stimme zu hören.
»Was ist los?« fragte er sofort. Es gab wirklich eine besondere Beziehung zwischen uns, die wir beide am selben Tag geboren waren.
Wir spürten immer sofort, wenn mit dem anderen etwas nicht stimmte.
»Drake hat mir einen Brief geschrieben. Er war in Farthinggale und hat Tony Tatterton getroffen.« Einen Augenblick lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung.
»Wirklich?«
»Du mußt herüberkommen, damit ich ihn dir vorlesen kann«, sagte ich. »O Luke, es ist alles anders, als wir es uns in unseren Träumen vorgestellt haben.«
»Mir ist es ganz gleichgültig, was Drake geschrieben hat oder wie es in Wirklichkeit ist«, sagte Luke trotzig. »Unsere Träume sind wichtig für uns, weil sie unser Leben mit Licht und Hoffnung erfüllen.«
»O Luke«, sagte ich und lächelte über die Entschlossenheit, mit der er an unseren Träumen festhielt. »Ich hoffe, du wirst immer in der Nähe sein, wenn ich jemanden brauche, der mich aufmuntert.«
»Natürlich werde ich das«, versprach er.
Aber dennoch fragte ich mich, ob dies nicht nur eine weitere Kinderphantasie war…
3. KAPITEL
SCHMERZLICHE KREUZWEGE
Drake konnte vor Anfang Juni nicht mehr nach Hause kommen, da er seine Semesterabschlußprüfungen am College ablegen mußte. Einige Tage nachdem er den Brief abgeschickt hatte, rief er mich jedoch an, um sich zu vergewissern, daß ich ihn erhalten hatte, und mir mehr über Farthy zu erzählen.
»Tony Tatterton hat mir das Zimmer gezeigt, in dem Heaven gewohnt hat, als sie in Farthy war«, begann er mit leiser Stimme.
»Wirklich?« Mein Herz schlug schneller bei dem Gedanken, daß er dort gewesen war, dort, wo der Ursprung so vieler Geheimnisse unserer Familie lag. Von uns allen war Drake der Antwort auf all die Fragen, die uns quälten, am nächsten gekommen.
»Es war auch das Zimmer deiner Großmutter Leigh. Ich war etwas verwirrt, denn einmal sprach Tony von Leigh und im nächsten Moment von Heaven.«
»Vielleicht ist er ein wenig verwirrt oder sogar senil?« gab ich zu bedenken.
»Das glaube ich nicht. Er leitet noch einen Teil der Geschäfte des Tatterton-Spielzeugimperiums, und als er sich mit mir über meine berufliche Laufbahn und die Wirtschaft unterhielt, wirkte er sehr klar und hervorragend informiert.«
»Wie sieht er aus? So wie auf den Fotos?«
»Heute nicht mehr. Sein Haar ist grau, und als
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