Nacht über Eden
stellte völlig unnötige Fragen: Ob er noch einen Serviettenring bringen solle und ob dies die richtige Karaffe für den Saft sei.
»Hört mal alle zu«, rief ich. »Wir wollen jetzt einfach das Frühstück genießen. Es muß nicht alles perfekt sein; das ist nicht so wichtig. Es ist einfach wunderbar, wieder hier bei euch zu sein. Ich habe euch alle so sehr vermißt!«
Erneut sahen alle zu mir herab, und diesmal las ich Liebe und Zuneigung auf ihren Gesichtern.
»Na, dann können wir ja anfangen«, erklärte Tante Fanny.
»Wird ja sonst alles kalt. Wie das Bett von ‘ner alten Jungfer!«
»O je«, meinte Mrs. Avery und preßte die Hände gegen ihre Brust. Wir brachen alle in schallendes Gelächter aus und setzten uns an den Tisch.
»Als erstes hab ich heut morgen ‘nen Termin beim Friseur für dich ausgemacht«, verkündete Tante Fanny.
»Nun«, sagte Luke lächelnd, »heute ist ein herrlicher Tag, ich könnte dich ja im Rollstuhl hinfahren.«
»Oh, das wäre schön.«
Die Stimmung am Frühstückstisch war sehr fröhlich. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so viel gegessen zu haben, doch immer wieder kam Roland Star aus der Küche und hatte etwas Neues für mich auf dem Tablett.
Gleich nach dem Frühstück schob mich Luke nach Winnerrow hinunter. Er nahm denselben Weg, den wir beide immer gegangen waren – an den Magnolienbäumen entlang, die die Straße säumten, vorbei an Häusern, in denen Menschen wohnten, die ich alle kannte. Es war ein wunderbarer Tag, einer jener seltenen Spätsommertage, an denen die Sonne hell am strahlend blauen Himmel stand und ein leichter Wind von den Willies herüberwehte. Die Leute winkten uns von ihren Haustüren aus zu; einige kamen sogar herüber, um uns zu begrüßen und mir ihr Beileid auszusprechen.
»Es kommt mir vor, als wäre ich hundert Jahre alt und als wäre ich seit mindestens fünfundsiebzig Jahren nicht mehr hier gewesen«, sagte ich zu Luke.
»Mir geht es genauso«, meinte Luke. »Es ist mir vorher nie aufgefallen, wie schmal unsere Hauptstraße eigentlich ist. Als Kind kam sie mir immer so riesig vor wie jetzt der Times Square von New York City.«
»Bist du enttäuscht?«
»Nein, es gefällt mir eher. Ich denke, ich werde eines Tages hierher zurückkommen, um mich ganz hier niederzulassen.
Was meinst du dazu?«
»Ich wahrscheinlich auch. Aber zuerst möchte ich reisen und die Welt sehen.«
»Oh, natürlich, ich auch.«
»Vielleicht will deine zukünftige Frau nicht gerne in einer so kleinen Stadt leben, Luke«, sagte ich und neckte ihn so mit jener schmerzlichen Wahrheit, die ich doch nur allzugerne ignoriert hätte. Aber wir waren Halbgeschwister, und eines Tages würden wir beide jemand anderen lieben…
Bei dieser Anspielung trat ein schmerzlicher Ausdruck auf sein Gesicht. Er blinzelte, und tiefe Falten gruben sich in seine Stirn.
»Das wird sie wohl müssen, wenn sie meine Frau werden will«, erwiderte er ärgerlich, als würde er jene Frau, die nicht ich sein würde, schon jetzt verachten. »Außerdem ist deine Mutter auch nach Winnerrow zurückgekehrt, obwohl sie vorher in einer sehr vornehmen Umgebung gelebt hatte. Wenn es ihr hier gut genug war…«
Ich wollte ihm jetzt nicht den wahren Grund für ihre Rückkehr sagen.
»Sie ist hier aufgewachsen, und als sie zurückkam, erwartete sie ein wundervolles altes Haus und ein großes neues Geschäft.
Aber auf dem College wirst du Mädchen aus größeren und interessanteren Städten als Winnerrow kennenlernen. Sie werden es vielleicht hier sehr hübsch finden, aber sie werden dort leben wollen, wo sie in schicken, teuren Geschäften einkaufen, in vornehmen Restaurants essen und ins Theater oder in die Oper gehen können.« Ich haßte es, ihm solche Dinge zu sagen, aber ich wollte, daß er dem Unvermeidlichen gemeinsam mit mir ins Auge sah.
»Solche Mädchen interessieren mich nicht«, fauchte er.
»Außerdem kann dir das gleiche passieren. Du wirst wahrscheinlich auch einen Mann treffen, der dich von hier fortbringen will, einen Mann, den ein so einfaches Leben langweilen wird.«
»Ich weiß das, Luke«, sagte ich sanft. Diese Gedanken waren so schmerzlich, und doch war es besser, wenn wir sie endlich aussprachen. Die Phantasie spielen zu lassen, war eine Sache, sich selbst etwas vorzulügen, war etwas ganz anderes. Das hatte ich während meines kurzen, schmerzvollen Aufenthaltes in Farthy gelernt.
»Ich weiß etwas Besseres«, rief er, und seine Miene hellte sich auf. »Laß doch
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