Nacht über Eden
er Zeit hat…«
»Bestimmt«, sagte Drake. Er war so erpicht darauf, das Thema zu wechseln, daß ich ganz nervös wurde. »Du kannst ja jetzt leider nicht nach Europa reisen, deshalb solltest du dir auch Gedanken über deine Ausbildung machen. Ich finde, wir sollten einen Privatlehrer für dich suchen, damit du den Stoff von einem oder zwei College-Kursen durcharbeiten kannst, sobald du dich besser fühlst. Falls die Ärzte damit einverstanden sind, versteht sich.« Er schaute sich im Zimmer um. »Andernfalls wirst du dich sicher bald tödlich langweilen.«
»Das ist eine gute Idee.«
»Ich werde mit Tony darüber sprechen.«
»Könntest du dich nicht darum kümmern, Drake? Rede mit den Leuten in Harvard. Ich könnte einen der Kurse machen, die Luke belegt hat. Dann könnten wir den Stoff gemeinsam durchgehen, wenn er hierher kommt.« Dadurch wäre es auch für Luke nicht so langweilig, mich hier zu besuchen, überlegte ich.
»Ich werde sehen, was ich tun kann. Du darfst die Macht und den Einfluß von einem Mann wie Tony nicht unterschätzen. Es stimmt zwar, daß er sich für einige Zeit zurückgezogen und die Leitung seines Spielzeugimperiums einigen Managern übertragen hat; aber überall wo ich in Boston hinkomme, kennt man den Namen Tatterton.« Er lächelte stolz.
»Man braucht ihn nur zu nennen, und schon öffnen sich Tür und Tor, und die Leute schwänzeln um einen herum. Man behandelt mich, als wäre ich selbst ein Millionär.
Und es gibt so vieles, was ein Mann wie Tony mir beibringen kann«, fuhr er fort. Er war nicht mehr zu bremsen, wie ein Auto ohne Fahrer, das einen Abhang hinunterrollt. »Seine Klugheit beruht auf Erfahrung, nicht nur auf Bücherwissen. Er weiß, mit wem man sich treffen muß, wie man mit Leuten umgeht, was man sagen muß – vor allem wenn es um geschäftliche Verhandlungen geht.« Drake lachte. »Ich wette, er ist ein ausgezeichneter Pokerspieler.«
»Das ist wunderbar, Drake. Ich bin so froh, daß du so gut mit ihm auskommst. Aber sag mir – hat er jemals über meine Mutter gesprochen und über das, was zwischen ihnen vorgefallen ist?« fragte ich und schob den Rest meines Sandwichs beiseite.
»O nein. Und ich stelle auch keine Fragen. Wenn Heavens Name fällt, dann erhellt sich sein Gesicht, und er spricht nur von glücklichen, schönen Erinnerungen. Vielleicht ist es am besten, wenn wir keine schlafenden Hunde wecken. Warum an unangenehme Dinge rühren?« fügte er rasch hinzu. »Wem würde das jetzt noch etwas nützen?«
»Im Augenblick will ich nicht darauf beharren, Drake. Aber irgendwann einmal muß ich es erfahren.
Manchmal«, sagte ich und schaute auf meine Bettdecke,
»manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich Mammi verraten, wenn ich Tony so viel für mich tun lasse.«
»Aber Annie, das ist doch Unsinn. Heaven hätte bestimmt gewollt, daß keine Kosten und Mühe für deine Genesung gescheut werden. Sie würde nie etwas Ablehnen, was gut für dich ist. Dafür hat sie dich doch viel zu sehr geliebt.«
»Ich hoffe nur, daß du recht hast, Drake.«
»Ich weiß, daß ich recht habe. Meinst du denn, wenn es andersherum gewesen wäre, das heißt, wenn Tony Heavens Hilfe gebraucht hätte, daß sie ihm dann die kalte Schulter gezeigt hätte?«
»Das weiß ich nicht. Sie hatte ihn so lange aus ihrem Herzen verbannt. Ich muß erfahren, warum. Verstehst du denn nicht, daß Mammi – «
»Na, denn«, dröhnte Tonys Stimme, »wie geht es denn unserer kleinen Patientin?«
Er kam so schnell herein, daß ich mich fragte, ob er nicht die ganze Zeit draußen unsere Unterhaltung belauscht hatte. Drake schien das nicht zu beunruhigen. Er stand auf und strahlte.
Man konnte ihm ansehen, wie sehr er Tony verehrte und bewunderte.
»Es geht ihr gut, Tony«, antwortete er rasch. »Es gibt auf der ganzen Welt keinen besseren Ort für sie, um wieder zu Kräften zu kommen.«
»Das ist schön. Hast du gut geschlafen, Annie?«
»Ja, danke, Tony.«
»Bitte, bedanke dich nicht bei mir. Es wäre an mir, mich zu bedanken. Du weißt ja gar nicht, was deine Anwesenheit in Farthy in dieser kurzen Zeit schon alles bewirkt hat. Das ganze Haus erstrahlt in neuem Glanze. Alles erscheint frisch und aufregend. Selbst meine alten Angestellten – Curtis, der Butler, und Rye Whiskey, der Koch – gehen so beflügelt durchs Haus, als wären sie auf einmal um Jahre jünger! Und warum? Nur weil sie wissen, daß du hier bist.«
»Ich würde Rye Whiskey gerne kennenlernen.« Ich erinnerte mich,
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