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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Es war grausam von mir, ihn dazu zwingen zu wollen.
    »Ich weiß, daß du nie etwas tun würdest, was mir Schmerz zufügen könnte. Dazu bist du viel zu süß, viel zu rein.« Er lächelte liebevoll. »Aber wir wollen nicht mehr über traurige Dinge sprechen. Bitte. Eine Weile wenigstens wollen wir uns auf das Schöne konzentrieren. Einverstanden?«
    »Einverstanden«, sagte ich.
    »Nun, wenn du dich dazu imstande fühlst – ich habe eine Liste mit Büchern gemacht, die du lesen solltest. Ich lasse sie dir auf dein Zimmer bringen. Und ich sorge auch dafür, daß morgen hier ein Fernsehapparat aufgestellt wird. Ich werde das Fernsehprogramm durchgehen und einige der besseren Sendungen für dich anstreichen«, meinte er.
    Wie seltsam, dachte ich. Wie war ich seiner Meinung nach erzogen worden? Ich wußte, welche Bücher ich lesen und welche Sendungen ich mir anschauen konnte. Meine Mutter hatte oft meinen guten Geschmack gelobt. Tony tat so, als würde er mich für eine Hinterwäldlerin halten, die Anweisungen und Hilfestellungen brauchte. Aber ich wollte mich nicht beklagen und ihn kränken. Er wirkte so glücklich, weil er all dies für mich tun konnte.
    »Und ich muß eine Liste mit den Sachen machen, die Drake mir aus Winnerrow mitbringen soll«, erinnerte ich ihn.
    »Richtig. Er kommt am Nachmittag. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Also gut. Ich muß jetzt ein bißchen arbeiten. Ich komme dann morgen früh zu dir. Schlaf gut, Heaven.«
    »Heaven?«
    »Oh, entschuldige bitte. Du hast mich gerade so an deine Mutter erinnert, und da – «
    »Das macht doch nichts, Tony. Es stört mich nicht, wenn du dich ab und zu versprichst und mich Heaven nennst. Ich habe meine Mutter sehr geliebt.« Meine Tränen kamen so schnell, als hätten sie nur auf diese Gelegenheit gewartet.
    »Ach, nun habe ich dich wieder traurig gemacht.«
    »Nein, es ist nicht deine Schuld.«
    »Arme Annie.« Er beugte sich über mich und küßte mich sanft. Seine Lippen verweilten auf meiner Wange, und er atmete tief ein, als wollte er den Duft meiner Haare in sich aufnehmen. Dann wich er abrupt zurück, weil er wohl merkte, daß sein Gutenachtkuß ein wenig lange gedauert hatte. »Schlaf gut«, sagte er und verließ das Zimmer.
    Ich ließ den Kopf in die Kissen sinken und dachte über einige der Dinge nach, die ich erfahren hatte. Wie recht hatte Rye gehabt! Das Haus hatte so viele Tragödien miterlebt, mehr als genug. War das bei allen großen Familien so? Gab es viele reiche und mächtige Familien, die so viel besaßen und doch so viel leiden mußten?
    Lag ein Fluch über den Tattertons und über allen, die mit ihnen in Berührung kamen? Vielleicht hatte Rye Whiskey gar nicht so unrecht, wenn er sagte, daß in diesem Haus Geister umgingen. Vielleicht war auch der Mann, den ich aus der Ferne beim Grab meiner Eltern gesehen hatte, einer von diesen Geistern…
    Aber wahrscheinlich hatte Drake recht; wahrscheinlich sollte ich die traurigen Dinge auf sich beruhen lassen. Aber ich wußte, daß ich das nicht konnte. Es gab Dinge, die ich einfach wissen mußte. Sie juckten, und wie bei einem andauernden Jucken mußte man daran kratzen.
    Was mich im Augenblick am meisten beunruhigte, war Lukes Schweigen. Wie schade, daß ich ihn nicht anrufen konnte und daß ich nicht einmal wußte, in welchem Wohnheim er untergekommen war!
    Millie kam herein, um das Tablett zu holen, und da hatte ich plötzlich einen Einfall.
    »Millie, könnten Sie bitte in der Schreibtischschublade nachsehen, ob dort ein Stift ist, Briefpapier und ein Umschlag.«
    »Ja, Annie.« Sie tat wie geheißen und reichte mir Briefpapier und einen Stift. »Es ist parfümiertes Briefpapier«, sagte sie, führte das Blatt an die Nase und roch daran. »Es duftet immer noch!«
    »Das ist mir gleichgültig. Ich möchte nur einen kurzen Brief schreiben. Bitte, kommen Sie in fünfzehn Minuten wieder, um ihn abzuholen und zur Post bringen zu lassen.«
    »Das werde ich tun.«
    Sie entfernte sich mit dem Tablett, und ich legte das Papier auf den Bettisch, um einen Brief an Luke zu schreiben.
    Lieber Luke,
    Ich weiß, daß Du nach der Schulabschlußfeier mit Drake gesprochen hast, und ich habe mich sehr gefreut, als ich erfahren habe, wie gut Deine Rede aufgenommen wurde. Du hast es verdient. Ich wünschte nur, ich hätte dabeisein können!
    Drake hat mich hier in Farthy besucht und mir erzählt, daß Du mittlerweile in Harvard bist. Die Ärzte meinen, daß ich mich

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