Nacht über Eden
keinerlei Kontakt zu Heaven aufnehmen. Für den Fall, daß er dem zuwiderhandelte, hätte er den Zirkus sofort wieder verloren.«
Ich starrte ihn an, unfähig, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Eine endlose Flut von Gedanken schoß mir durch den Kopf. Für einen Dollar! Tony hatte gehandelt wie der Teufel, der die Seele des Mannes kaufte, ihn in Versuchung führte, indem er ihm alles, was er sich je gewünscht und erträumt hatte, anbot, aber ihn gleichzeitig zwang, jene Dinge aufzugeben, die ihm eigentlich am wichtigsten und teuersten hätten sein sollen. Mir wurde übel, mich ekelte, und ich fühlte mich so schwach, als hätte ich soeben erfahren, daß mein eigener Vater mich für einen Zirkus eingetauscht hatte – und das für nur einen Dollar!
Das Schweigen zwischen uns schien endlos. Wie sehr wünschte ich mir, ich könnte aufstehen und aus dem Zimmer laufen – fort von diesen entsetzlichen Enthüllungen! Was für ein Mann war Luke Casteel? Luke Jr. hatte diese Charakterzüge hoffentlich nicht geerbt, betete ich. Jener Luke, den ich kannte und liebte…
»Luke war einverstanden?« fragte ich schließlich, obwohl ich die Antwort bereits wußte.
»Ja, und er hat sich an die Vereinbarung gehalten – bis zu dem Tag, als er und seine Frau ums Leben kamen. Erst dann…
fand Heaven heraus, was ich getan hatte. Ich versuchte, es ihr zu erklären, so wie ich es jetzt dir erkläre. Ich flehte sie an, mir zu verzeihen, aber sie war so außer sich, daß sie Farthinggale sofort verließ und nie wieder zurückkehrte.«
Er senkte den Kopf.
»Sie ließ mich als gebrochenen Mann zurück, von Schuldgefühlen zermartert. Ich wanderte mutterseelenallein durch dieses riesige Haus und grübelte über mein selbstsüchtiges Handeln nach. Nachdem meiner Meinung nach genug Zeit vergangen war, um die Wunden heilen zu lassen, versuchte ich, Heaven dazu zu bringen, mit mir zu sprechen, meine Anrufe und meine Briefe zu beantworten. Doch sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, und ich konnte machen, was ich wollte – nichts konnte sie umstimmen.
Ich zog mich in eine Schattenwelt zurück, und dort habe ich seither gelebt.« Er blickte einen Moment lang zu Boden. »Was mich am Leben erhalten hat, waren die Nachrichten, die ich über dich und über Heavens und Logans Leben in Winnerrow in Erfahrung bringen konnte. Ich hatte meine Leute, die mir berichteten, daß du zu einer schönen jungen Dame herangewachsen seist, und außerdem erfuhr ich von dem Erfolg eurer Spielzeugfabrik und von Heavens und Logans wunderbarem Leben in Winnerrow, wo sie geachtet und beneidet wurden. Ich… ich konnte nicht anders, ich wollte dich unbedingt sehen, ich wollte wissen, wie es euch allen erging.
Oft spielte ich mit dem Gedanken, einfach dort aufzutauchen und das Risiko in Kauf zu nehmen, daß deine Mutter mich hinauswarf. Ich plante sogar, mich zu verkleiden und nach Winnerrow zu fahren, um dich aus nächster Nähe sehen zu können«, meinte er; doch er sagte es in einem Ton, daß ich mich fragte, ob er es nicht tatsächlich getan hatte.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wieviel es mir während dieser trüben und einsamen Jahre bedeutete, mit dir und Heaven zu leben, und sei es auch nur aus zweiter Hand, über Erzählungen«, sagte er. Ich sah die Tränen in seinen Augen und merkte, daß er es zutiefst ehrlich meinte. Er hatte all die Jahre darauf gewartet, daß entweder Mammi oder ich hierher nach Farthinggale kommen würden. Wie sehr hatte er sich danach gesehnt! Ich konnte nicht anders, ich empfand Mitleid mit ihm und mit seinem verzweifelten Verlangen.
»O, Annie, glaube bitte nicht, daß ich nicht alles geben würde, um die Zeit zurückzudrehen und das, was ich getan habe, ungeschehen zu machen, aber es geht nicht. Bitte… bitte, hasse mich nicht deswegen. Gib mir die Möglichkeit, meine schlechten Taten wieder gutzumachen, indem ich dir helfe, indem ich dich wieder ganz gesund und sehr glücklich mache.«
Er ergriff meine Hand, und seine Augen bettelten, flehten inständig, ich möge ihm verzeihen. Mein Herz pochte. Ich hatte das Gefühl, ich würde gleich in Ohnmacht fallen, wenn ich mich nicht hinlegte.
»Ich möchte in mein Zimmer zurück, Tony. Ich muß mich ausruhen und nachdenken.«
»Ich kann es dir nicht vorwerfen, daß auch du mich haßt.«
»Ich hasse dich nicht, Tony. Ich glaube dir, daß dir das, was du getan hast, sehr leid tut, aber ich verstehe jetzt auch, warum meine Mutter so traurig war, wenn man auf
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