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Nacht über Juniper

Titel: Nacht über Juniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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welche.
Shed konnte mit Wohlstand nicht umgehen. Er hetzte jedem Wunsch hinterher, den er wäh- rend der Zeit seiner Verarmung gehegt hatte. Er kaufte teure Kleidung, die er nicht anzuzie- hen wagte. Er suchte Orte auf, die nur die Reichen frequentierten. Und er erkaufte sich die Aufmerksamkeit schöner Frauen.
Frauen waren teuer, wenn man vorgab, jemand von ganz oben zu sein. Eines Tages ging Shed an seine geheime Geldkiste und stellte fest, daß sie leer war. Das ganze Geld war weg? Wohin denn? Die Renovierungsarbeiten an der Lilie waren noch nicht abgeschlossen. Die Arbeiter mußte er auch noch bezahlen. Er mußte die Leute bezahlen, die sich um seine Mutter kümmerten. Verdammt! War er denn wieder dort, wo er angefangen hatte?
Wohl kaum. Er hatte ja noch seine Gewinne. Er hastete nach unten zu seiner Geschäftsgeldkiste, öffnete sie, seufzte erleichtert. Aber etwas stimmte nicht. In der Kiste war bei weitem nicht genug Geld… »Hey, Wally!« Sein Vetter sah ihn an, schluckte, rannte zur Tür hinaus. Verdutzt eilte Shed nach draußen und sah Wally gerade noch in einer Seitengasse verschwinden. Schlagartig erkannte er die Wahrheit. »Verdammt!« schrie er los. »Verdammt sollst du sein, du verdammter Dieb!« Er ging wieder hinein und versuchte festzustellen, wie es um ihn stand. Eine Stunde später schickte er die Arbeiter nach Hause. Er überließ es seiner neuen Hilfe Li- sa, sich um das Geschäft zu kümmern und suchte der Reihe nach seine Lieferanten auf.
    Wally hatte ihn tief hineingeritten. Er hatte auf Kredit gekauft und die fälligen Zahlungen
für sich behalten. Shed deckte während des Rundgangs seine Schulden ab und wurde immer unruhiger, als seine Reserven dahinschmolzen. Als er kaum mehr als Kupferstücke übrig hat- te, ging er zur Lilie zurück und begann mit einer Inventur. Wenigstens hatte Wally die Sachen, die er auf Kredit gekauft hatte, nicht wieder verkauft. Die Vorratslager der Lilie waren gut bestückt. Nur – was sollte er wegen seiner Mutter unternehmen? Das Haus war bereits bezahlt. Das war schon einmal gut. Aber das alte Mädchen brauchte ihre Bediensteten zum Überleben. Und er konnte ihre Löhne nicht bezahlen. Aber er wollte sie auch nicht mehr in der Lilie haben. Er konnte die teuren Kleider verkaufen. Er hatte ein Vermögen dafür ausgegeben und konnte sie nicht tragen. Er stellte einige Berechnungen an. Ja. Wenn er die Kleidungsstücke verkaufte, konnte er seine Mutter bis zum nächsten Sommer versorgen.
Keine feinen Anzüge mehr. Keine Frauen mehr. Keine weiteren Renovierungen an der Li- lie… Vielleicht hatte Wally nicht alles ausgegeben. Wally zu finden war nicht schwer. Nachdem er sich zwei Tage lang versteckt gehalten hatte, kehrte er zu seiner Familie zurück. Er dachte, daß Shed diesen Verlust schon verkraften konn- te. Er wußte nicht, daß er es jetzt mit einem neuen Shed zu tun hatte. Shed stürmte in die kleine Einzimmerwohnung seines Vetters, indem er die Tür eintrat. »Wally!«
Wally plärrte los. Seine Kinder, seine Frau, seine Mutter kreischten Fragen. Shed achtete nicht auf sie. »Wally, ich will es zurückhaben! Jedes verdammte Kupferstück!« Wallys Frau drängte sich dazwischen. »Beruhige dich, Marron. Was ist denn los?« »Wally!« Wally kauerte sich in einer Ecke zusammen. »Geh mir aus dem Weg, Sal. Er hat mir fast einhundert Leva gestohlen.« Shed packte seinen Vetter und zerrte ihn zur Tür hinaus. »Ich will es wieder zurückhaben.«
»Shed…«
Shed versetzte ihm einen Stoß. Er taumelte rückwärts, rutschte aus, rollte eine Treppe hinun- ter. Shed stürmte hinterdrein und warf ihn eine weitere Treppe hinab. »Shed, bitte…«
»Wo ist das Geld, Wally? Ich will mein Geld.« »Ich habe es nicht, Shed. Ich habe es ausgegeben. Ehrlich. Die Kinder brauchten doch etwas zum Anziehen. Wir mußten etwas zu essen haben. Ich konnte nichts dafür, Shed. Du hattest doch so viel… Du gehörst doch zur Familie, Shed. Wir müssen doch zusammenhalten.« Shed stieß ihn auf die Straße hinaus, trat ihm in die Leiste, zerrte ihn wieder hoch, begann ihn zu ohrfeigen. »Wo ist es, Wally? So viel kannst du nicht ausgegeben haben. Verdammt, deine Kinder laufen in Lumpen herum. Ich habe dir genug bezahlt, damit du dich darum kümmern konntest. Weil du zur Familie gehörst. Ich will das Geld, das du gestohlen hast.«
    Während seiner Tirade trieb Shed seinen Vetter auf die Lilie zu.
Wally winselte und bettelte und wollte immer noch nicht mit der Wahrheit herausrücken.

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