Nacht unter Tag
Besitzer zog gerade die Rollläden hoch, als sie sich näherte. Bel betrachtete ihn. Wahrscheinlich ihr Alter, glatte Haut und dunkle Haare, Brille mit modischem Gestell, hinter dem seine Augen zu klein aussahen, ein bisschen zu füllig für die engen Jeans und das Ralph-Lauren-Hemd. An seine Eitelkeit zu appellieren wäre wahrscheinlich der beste Ansatz.
Sie wartete geduldig und folgte ihm dann nach drinnen. Die Wände waren bedeckt mit Drucken und Aquarellen toskanischer Klischees: Zypressen, Sonnenblumen, Bauernhäuser, Mohn. Alle waren gut gemalt und hübsch, aber es war nicht eines dabei, das sie sich an die Wand gehängt hätte. Serienmäßige Fertigung von Gemälden für die Kunden aus den Touristenbussen, die dann den nächsten Ort auf ihrer Liste abhakten. Mein Gott, sie wurde ja ein ganz schöner Snob auf ihre alten Tage.
Der Ladeninhaber setzte sich hinter einem Schreibtisch mit Lederauflage zurecht, der offenbar antik wirken sollte. Wahrscheinlich so alt wie sein Auto, dachte Bel. Sie trat näher, setzte ihr harmlosestes Lächeln auf und flötete: »Guten Morgen. Was für eine wunderschöne Auswahl von Bildern. Jeder würde sich glücklich schätzen, sie an der Wand hängen zu haben.«
»Wir sind stolz auf die Qualität unserer Kunstwerke«, erwiderte er ohne einen Anflug von Ironie.
»Erstaunlich. Die Landschaften wirken richtig lebendig. Könnten Sie mir vielleicht helfen?«
Er musterte sie von oben bis unten. Sie sah ihm an, dass er alles abschätzte – von ihrem Sommerkleid von Harvey Nichols bis zu ihrer Strohtasche, die sie an einem Marktstand gekauft hatte –, bevor er entschied, wie viel Energie er in sein eigenes Lächeln stecken sollte. Was er sah, gefiel ihm offenbar, denn er ließ sie in den Genuss seiner kosmetisch perfektionierten Zahnreihen kommen. »Es wird mir ein Vergnügen sein«, erklärte er. »Was suchen Sie?« Er stand auf und zog sein Hemd zurecht, damit es seine überzähligen Pfunde verbarg.
Bedauerndes Lächeln. »Eigentlich suche ich kein Bild, sondern einen Maler«, gestand sie. »Ich bin Journalistin.« Bel nahm ihre Geschäftskarte aus der Tasche ihres Kleides, reichte sie ihm und ignorierte den kühlen Blick, der an die Stelle der Herzlichkeit getreten war. »Ich suche einen britischen Landschaftsmaler, der hier unten lebt und in den letzten zwanzig Jahren damit seinen Unterhalt verdient. Die Schwierigkeit ist, dass ich seinen Namen nicht kenne. Er fängt mit D an – David, Darren, Daniel. So etwas. Er hat einen Sohn Anfang zwanzig, Gabriel.« Sie hatte Ausdrucke von Renatas Fotos gemacht und nahm sie aus ihrer Tasche. »Das hier ist der Sohn, und das ist der Maler, den ich aufspüren will. Mein Redakteur meint, wir könnten ein Feature über ihn bringen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Ich muss mit ihm reden und herausfinden, was Sache ist.«
Er betrachtete kurz das Foto. »Ich kenne ihn nicht«, sagte er. »Meine Künstler sind alle aus Italien. Sind Sie sicher, dass er professionell arbeitet? Es gibt viele Amateure, die ihre Sachen irgendwo auf dem Gehweg verkaufen. Darunter sind viele Ausländer.«
»Nein, er ist schon professioneller Maler. Er lässt sich hier und in Siena vertreten.« Sie breitete die Hände aus und wies auf die Bilder an den Wänden. »Aber offenbar ist er nicht gut genug für Sie.« Sie nahm die Fotos wieder an sich. »Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.« Er hatte sich bereits abgewandt und kehrte zu seinem bequemen, von seelenlosen Bildern umgebenen Sessel zurück. Kein Verkauf, keine Unterhaltung.
Es gab jede Menge Galerien, das wusste sie. Noch zwei, dann würde sie sich einen Kaffee und eine Zigarette gönnen. Weitere drei, danach ein Eis. Kleine Belohnungen, die ihr halfen, die Arbeit hinter sich zu bringen.
Sie schaffte es nicht bis zum Eis. Bei der fünften Galerie, in der sie anfragte, stieß sie auf Gold. Es war ein heller, luftiger Raum, in dem die Bilder und Skulpturen genug Platz hatten, um zur Geltung zu kommen. Bel genoss es tatsächlich, durch die ganze Ausstellung zum Tisch am hinteren Ende zu gehen. Hier saß eine Frau mittleren Alters hinter einem modernen, praktischen Schreibtisch, auf dem sich Broschüren und Kataloge türmten. Sie trug leicht zerknittertes Leinen, der allgemein beliebte Stil beim eher legeren Typ Frau mittleren Alters in Italien. Sie sah von ihrem Computer auf und warf Bel einen vagen, etwas gequälten Blick zu. »Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sie sich so schnell,
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