Nacht unter Tag
beim Mies-van-der-Rohe-Pavillon aus dem Bus ausgestiegen war und sich von dessen Ruhe und Schlichtheit überraschen und faszinieren ließ. Die Stühle hier zu sehen gab ihr festen Boden unter den Füßen. Sie konnte sich gegen jeden Bonzen behaupten, sagte sie sich.
Grant warf sich auf seinen Stuhl wie ein bockiges Kind. »Was zum Teufel soll das alles?«
Karen stellte ihren schweren Rucksack auf den Boden und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Aktenschrank. Sie trug ihr schickstes Kostüm; das hatte sie bei Hobbs in Edinburgh als Sonderangebot erstanden, in ihm konnte sie Eindruck machen. Sie hatte das Gefühl, die Situation absolut unter Kontrolle zu haben. Zum Teufel mit Brodie Grant.
»Sie ist tot«, erwiderte sie kurz und bündig.
Grant nahm mit einem Ruck den Kopf zurück. »Wer ist tot?« Er klang empört.
»Bel Richmond. Werden Sie mir endlich sagen, hinter was sie her war?«
Er versuchte ein lässiges Achselzucken. »Ich habe keine Ahnung. Sie war freie Journalistin, keine Angestellte von mir.«
»Sie arbeitete für Sie.«
Er winkte ab, wies alles von sich. »Ich habe sie als Kontaktperson für die Presse beschäftigt, für den Fall, dass sich bei den Ermittlungen zu diesem alten Fall etwas ergeben sollte.« Er verzog tatsächlich geringschätzig den Mund. »Was zu diesem Zeitpunkt nicht sehr wahrscheinlich zu sein scheint.«
»Sie arbeitete für Sie«, wiederholte Karen. »Sie hat viel mehr getan, als den Kontakt zur Presse vorzubereiten. Sie war keine PR -Managerin. Sie war eine investigative Journalistin, und sie hat für Sie ermittelt.«
»Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Ideen nehmen, aber ich kann Ihnen versichern, Sie werden sich zu diesem Fall nicht mehr den Kopf zu zerbrechen brauchen, nachdem ich mit Simon Lees gesprochen habe.«
»Nur zu. Ich werde ihm gern erzählen, dass Bel Richmond gestern in Ihrem Privatjet nach Italien geflogen ist. Dass sie am Flughafen von Florenz auf Kosten Ihrer Firma einen Mietwagen genommen hat. Und dass der Mann, der sie ermordet hat, von der Polizei ertappt wurde, als er ihre nackte Leiche an Schweine verfüttern wollte. Das war etwa zweihundert Meter von dem Haus entfernt, wo Bel selbst das Poster gefunden hat, das diese ganze Ermittlung ins Rollen brachte.« Karen richtete sich auf, ging zum Schreibtisch hinüber und stützte sich mit den Fäusten auf. »Ich bin nicht die blöde Pappnase, für die Sie mich halten.« Sie starrte ihn wütend an.
Bevor er sich entschließen konnte, was er ihr entgegnen sollte, kam eine junge Frau im schwarzen Kleid mit Kaffee auf einem Tablett herein. Sie sah sich unsicher um. »Auf den Schreibtisch, Mädchen«, ordnete Grant an.
Karen vermutete, dass er ihr wohl keine Tasse Kaffee anbieten würde.
Sie wartete, bis sie hörte, dass die Tür hinter ihr geschlossen wurde, dann sagte sie: »Ich glaube, Sie sollten mir erzählen, warum Bel nach Italien flog. Es war wahrscheinlich der Grund dafür, dass sie umkam.«
Grant neigte den Kopf nach hinten und schob ihr sein kräftiges Kinn entgegen. »Soweit ich weiß, Inspector, erstreckt sich die Zuständigkeit der Polizei von Fife nicht auf Italien. Diese Sache hat nichts mit Ihnen zu tun. Sie sollten also verschwinden.«
Karen lachte laut auf. »Mir haben schon bessere Männer als Sie gesagt, ich solle verschwinden, Brodie«, erwiderte sie. »Aber Sie sollten wissen, dass ich auf Anfrage der italienischen Polizei hier bin.«
»Wenn die italienische Polizei mit mir reden will, kann sie herkommen und das tun. Reden wir doch gleich mit dem Chef. So mache ich es immer. Außerdem, wenn dieses Gespräch offiziell wäre, dann hätten Sie doch Ihren Helfer dabei, der die Notizen macht. Ich kenne unsere schottischen Gesetze, Inspector. Und jetzt, wie ich schon sagte, verschwinden Sie!«
»Keine Sorge, ich gehe. Aber damit das klar ist, für die italienische Polizei brauche ich keine Bestätigung für eine Zeugenaussage. Und noch etwas kann ich Ihnen gratis mitgeben: Wenn ich Ihre Frau wäre, würde es mir wirklich zu denken geben, wie viele Frauenleichen es in Ihrem Windschatten gibt. Ihre Tochter. Ihre Frau. Und jetzt Ihre Sklavin.«
Seine Lippen zogen sich zu einem animalischen Zähnefletschen zurück. »Wie können Sie es wagen?«
Obwohl sie sich vorgenommen hatte, unter jeder Bedingung kontrolliert zu bleiben, hatte Grant es geschafft, sie zu provozieren. Karen nahm ihre Tasche und zog eine maßstabgetreue Zeichnung vom Ort der Lösegeldübergabe heraus. »Deshalb
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