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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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aber sie begriff. Wieder spürte sie den leisen Groll gegen ein System, das von ihr verlangte, Menschen zu verfolgen, die es so oft selbst zu Opfern gemacht hatte. Wenn Sarah ihre gut bezahlte Arbeit nicht verloren hätte, dann hätte Maggie inzwischen ihren Job bei der Polizei hingeschmissen, das wusste sie genau. Aber sie brauchten ihr Gehalt, um sich über Wasser zu halten. Der Job selbst war unangenehm genug. Aber die zusätzliche Qual, ihre Beziehung zu Sarah ständig verborgen halten zu müssen, belastete sie allmählich mehr, als sie ertragen konnte. Sarah war nicht die einzige, deren Möglichkeiten durch ihre Arbeitslosigkeit drastisch eingeschränkt wurden.
     
    Um neun Uhr fünfundfünfzig war ein Dutzend Kripobeamte um ein adrettes Einfamilienhaus in einer ruhigen Vorortstraße postiert. Im Garten ragte ein Schild mit der Aufschrift ZU VERKAUFEN zwischen den Rosenbüschen hervor. In der Küche und im Wohnzimmer brannte Licht.
    Im Auto vergewisserte sich Bill noch einmal, dass er den Durchsuchungsbefehl dabeihatte. Nach einer letzten Durchsage über das Funksprechgerät gingen Maggie und er die kurze Einfahrt hoch.
    »Jetzt bist du dran«, sagte er und klingelte. Ein großer kräftiger Mann Mitte vierzig machte auf. Um die Augen hatte er Falten, die von der Anspannung herrührten, und seine Kleidung war zu weit, so, als hätte er in letzter Zeit abgenommen.
    »Ja?«, sagte er freundlich und leise.
    »Mr. Derek Millfield?«, fragte Maggie.
    »Das bin ich. Was kann ich für Sie tun?«
    »Wir sind von der Polizei, Mr. Millfield. Wir würden gern mit Ihnen sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    Er schien ratlos. »Natürlich, gern. Aber ich verstehe nicht, was …« Er verstummte. »Kommen Sie doch am besten rein.«
    Sie betraten das Haus, und Millfield führte sie in ein überraschend geräumiges Wohnzimmer. Es war geschmackvoll und aufwändig eingerichtet. Eine Frau saß vor dem Fernseher.
    »Meine Frau Shula«, stellte er vor. »Shula, diese Leute sind Polizisten, Entschuldigung, Miss, ich meine, Polizeibeamte.«
    Shula Millfield stand auf und sah sie an. »Jetzt kommen Sie mich also holen«, sagte sie.
    Es war schwierig zu sagen, wer am meisten überrascht war. Dann lachte sie plötzlich, weinte und schrie – alles durcheinander.
     
    Maggie streckte sich auf der Couch aus. »Es war entsetzlich. Es muss bei ihr seit Wochen auf Messers Schneide gestanden haben, bevor sie endlich ausflippte. Er ist seit sieben Monaten arbeitslos. Sie haben die Kinder aus der Privatschule nehmen müssen, mussten das Auto und ihren Besitz verkaufen. Er hatte keine Ahnung, was sie da anrichtete. Ich habe noch nie jemanden so durchdrehen sehen. Alles wegen eines angenehmen, gutbürgerlichen Lebensstils.
    Ihre Schuld steht außer Frage. Ihre Fingerabdrücke waren überall auf dem Glas mit dem Arsen. Sie hat das Fläschchen vor einem Monat gestohlen. Sie hatte eine Teilzeitstelle in der Apotheke des Kreiskrankenhauses von Kingcaple. Aber dort hat man nicht mal gemerkt, dass es fehlte. Weiß der Himmel, wie das möglich war. Da werden wohl Köpfe rollen«, fügte sie bitter hinzu.
    »Was geschieht mit ihr?«, fragte Sarah reserviert.
    »Sie wird vor Gericht gestellt, wenn sie schuldfähig ist. Aber ich bezweifle, dass sie das ist. Ich fürchte, sie wird für den Rest ihres Lebens in einer Anstalt landen.« Als sie den Blick hob, sah sie Tränen auf Sarahs Gesicht. Sie stand auf und legte den Arm um sie. »He, wein doch nicht, Schatz. Bitte nicht.«
    »Ich kann nicht anders, Maggie. Ich weiß, wie es ist, verstehst du. Ich kenne diese grenzenlose Hoffnungslosigkeit. Ich kenne diesen Hass, diesen Frust und die Sinnlosigkeit. Du kannst nichts dagegen tun. Sie werden damit leben müssen, Detective Sergeant Staniforth, dass ich es genausogut hätte sein können. So leicht hätte ich es selbst sein können.«
     
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Prolog
    W as ist Ihre früheste Erinnerung? Ich meine keine Begebenheit, die einem so oft erzählt wurde, bis sie einem wie eine eigene Erinnerung vorkommt. Ich spreche von dem ersten Ereignis, das man als Kind mit eigenen Augen wahrgenommen hat. Etwas, das man aus der Zwergenperspektive gesehen hat, ohne die begleitenden Worte zu begreifen, ein echtes Erlebnis, das einen heute noch umhauen kann. Ich spreche von einem Schlüsselmoment, der prägend war für alles, was im späteren Leben

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